Wegweisendes Urteil stärkt den Journalismus

Hier erst einmal etwas Hintergrundinformation dazu, wie es zu dem aktuellen Urteil kam:
der auslösende DTJ-Artikel
der folgende Artikel der taz
Gegen diese Berichterstattung wurde von Herrn Schritter geklagt.

Die Reaktionen darauf in chronologischer Reihenfolge:

NRhZ Berichterstattung über den Prozeß: Justiz und Chauvinismus
Ein Interview von Süleyman Bag, dem Chefredakteur des DTJ, mit Dr. Sabine Schiffer ist auf youtube

Interview mit Dr. Schiffer über den Prozeß und seine Bedeutung in Bezug auf Hasspostings im Netz: Gefahr in den sozialen Netzwerken wird unterschätzt
Dr. Schiffer schrieb einen weiteren Beitrag auf DTJ: Justiz und Social Media – noch hat nicht jeder verstanden, wie Facebook funktioniert

 

Nachdem jetzt in der Revision das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wurde, die Rechte des Journalismus verteidigt und gestärkt worden sind, veröffentlichen wir das folgende Interview mit Dr. Schiffer:

Den Täter beim Namen nennen – zur Stärkung des Journalismus gegenüber dem Hetzer

In dieser Zeit wird viel über „Hate Speech“ diskutiert und darüber, ob Hass im Netz juristisch oder zivilgesellschaftlich begegnet werden soll. Aber auch Warnungen vor Zensur stehen im Raum und die Ablehnung von Political Correctness. Nicht immer kommen strafbare Äußerungen vor den Kadi bzw. muss überhaupt geklärt werden, welche Äußerungen denn nun strafbar sind und welche nicht. In einem Berufungsprozess am Oberlandesgericht Saarbrücken erging nun ein wichtiges Urteil zur Berichterstattung über eine Morddrohung auf Facebook, die über den Einzelfall hinausreicht – denn mit dem Urteil wird die namentliche Nennung von Hetzern gerechtfertigt, weil sie von öffentlichem Interesse ist und die Verantwortung für den inkriminierten Text beim Urheber, also dem Poster, liegt. Damit stellt die Berichterstattung darüber eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe und keineswegs eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar.

Frau Schiffer, Sie waren der Persönlichkeitsrechtsverletzung wegen ihrer Berichterstattung über Hasspostings auf der Facebook-Seite von Akif Pirincci angeklagt. Worum ging es genau?

Pirinçci hatte sich auf seiner Facebook-Seite abschätzig über Sexualerziehung, Sexualforscher und deren Arbeit geäußert und dabei eine Professorin an den Internetpranger gestellt, die daraufhin als „Genderlesbe“ beschimpft wurde. Dies hat anscheinend die Schleusen geöffnet, denn unter diesem Post versammelten sich über 200 unsägliche Kommentare, die sogar bis hin zur Morddrohung gegenüber der Professorin reichten.
Ich griff für die Berichterstattung darüber einen Anwalt und einen Unternehmensberater aus den Hassposts heraus, die unter ihrem Klarnamen schrieben. Auch die taz berichtete über den Fall. Die Professorin stellte Strafanzeige gegen die Morddrohung des Unternehmensberaters Schritter. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, was anscheinend den Herrn ermutigt hat gegen das Deutsch-Türkische Journal, bei dem mein Beitrag erschienen war, sowie ebenfalls gegen die taz ein Zivilrechtsverfahren wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung anzustrengen und auf Unterlassung zu klagen.
Er wollte seinen Namen aus dem Netz haben, verständlich, aber unserer Meinung nach nicht berechtigt – wenn man Zeichen gegen den Extremismus der Mitte setzen will.

Wie kam er denn auf die Idee, dass man seinen Namen nicht hätte erwähnen dürfe? Hatte er diese etwas verklausulierte Drohung nicht selbst unter seinem Klarnamen gepostet?

Er behauptete nun, sein Facebook-Account sei gehackt worden. Damit kam er in der ersten Instanz auch durch, weil offensichtlich dem Gericht das Funktionieren von Facebook nicht so geläufig war. Die Unhaltbarkeit der Behauptung sowie die Durchsichtigkeit seiner Ausflüchte, fehlende Beweissicherung und Erinnerungslücken etc. führten dann im Revisionsverfahren zur Ablehnung der Klage und somit zur Stärkung der Pressefreiheit, denn wir haben ja lediglich über den Sachverhalt berichtet.
Das Urteil lässt durchscheinen, dass das Gericht Schritter die Mär von dem Identitätsklau nicht geglaubt hat und ihn für den Extremisten hält, der er ist und wie er sich entsprechend auf seiner Facebook-Seite und vielen anderen Stellen im Netz ausgelassen hat. Er war da wohl noch auf etlichen anderen rechtslastigen und rassistischen Portalen unterwegs und hat verräterische Posts abgesetzt.

Geschieht so etwas öfter oder war das ein Einzelfall? Meine: Werden Sie oder Kollegen öfter bedroht?

Ja, ich erhalte seit 2009 Morddrohungen, nachdem ich mich öffentlich zum Mord an Marwa El-Sherbiny im Dresdener Landgericht geäußert hatte und weitere Untersuchungen forderte. Aber ich werde schon länger mit unflätigen und auch unhaltbaren Anschuldigen im Netz konfrontiert – die Google übrigens erstaunlich prominent vorhält angesichts meiner vielfältigen sonstigen publizistischen Netzaktivitäten. Die Kollegen Journalisten erkennen das Problem inzwischen auch, nachdem sie regelmäßig angegriffen werden – sogar physisch etwa bei Pegida-Aufmärschen.

Handelt es sich um eine neue Entwicklung oder gab es derlei Hass, der zu Gewalt neigt, schon immer im Land?

Ich erinnere da an die Auswirkungen der üblichen Medienberichterstattung lange vor dem Katalysator Internet, der übrigens nicht so sehr für anonyme Entgleisungen sorgt, sondern allgemein für Entgleisungen und Zuspitzungen. Als Anfang der 1990er Jahre die Asylbewerberheime sowie Wohnhäuser in Solingen und Mölln brannten, gaben Angeklagte sinngemäß zu Protokoll: Die reden ja nur, wir tun was. Die gemeinten Nur-Redner waren die Medien mit ihrer „Boot-ist-voll-Metaphorik“. Und schließlich hat die Politik den Hetzern und Brandstiftern recht gegeben, indem sie das Asylrecht verschärft und unter dem Euphemismus „Zuwanderungsgesetz“ echten Zugang erschwert haben.

In welchem Kontext verorten Sie diese Geschehnisse? Gibt es Dinge, die sozusagen „nicht mehr sagbar“ sind, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben?

Wie wichtig es ist, gegen menschenfeindliche Tendenzen anzugehen, wird doch Vielen immer deutlicher. Ich halte es aber für verfehlt, dass das nur eine zivilgesellschaftliche Aufgabe ist – da muss es auch um die Korrektur politischer Vorgaben gehen, etwa wenn die Gesetzgebung die soziale Polarisierung in der Gesellschaft fördert. Wenn Menschen Angst vor Verlust haben, und erscheint diese Angst im weltweiten Vergleich auch als ein Luxusproblem, so ist der Projektion der eigenen Ohnmachtsgefühle und Ängste auf markierte Gruppen Tür und Tor geöffnet. In dem Kontext sind verbale wie physische Angriffe gleichermaßen auf Ausländer, Obdachlose, selbstbestimmte Frauen, Homosexuelle, Menschen mit Zivilcourage, Politiker und Wissenschaftler u.v.m. zu sehen.

Und die Wurzel all dessen ist…? Rassismus? Der „Kampf“ gegen ihre Forschungen und Positionen gegen jedwede Form von Menschenhass?

Rassismus ist nur das Ventil, ohne dieses Problem abtun zu wollen. Aber es geht hier vielmehr um die Funktionen von Rassismus, nämlich die Möglichkeit, vereinfachend komplexe Probleme einer Gruppe oder Einzelperson zuzuweisen. Will ich die Ursachen bekämpfen, muss ich an die Grundbedingungen menschlichen Lebens heran und sie gerecht gestalten. Dann ist der Ablehnung Anderer zumindest der argumentatorische Boden entzogen und man könnte diese Probleme angehen. Im Moment schlagen wir uns aber alle eigentlich mit den Folgen einer ungerechten Weltwirtschaftsstruktur herum, und die scheint unantastbar zu sein. Solange aber die Profitmaximierung, die auf Kosten aller Menschen mitsamt der Umwelt geht, nicht in Frage gestellt wird, wird es Armut, Krieg, Austeritätspolitik, Terror und viel viel Angst geben – was man leider wieder zur Profitmaximinierung nutzen kann, wie das Wachstum des sog. Security-Sektors belegt: Stichwort Blackwater.

Und nun in Ihrem konkreten Fall? Wird nun die Morddrohung strafverfolgt?

Davon gehe ich nicht aus, auch wenn wir dem Gericht gerne die gesicherten Daten zukommen lassen würden, die mein Kollege und ich damals archiviert haben. Natürlich stellt das jetzige Urteil die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Strafverfahren wegen der Morddrohung einzustellen, in Frage. Darum ist aber das Urteil umso wichtiger in seiner Signalwirkung. Wir brauchen mehr denn je Klarheit, dass Hass im Netz kein Kavaliersdelikt ist und auch nicht nur die Stimmung versaut, sondern zu gefährlichen Folgeerscheinungen führen kann. Ironischerweise erreichte mich das Urteil gerade bei der Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung zu genau diesem Thema, das Sie unter dem Hashtag #NetzOhneHass in den sogenannten Sozialen Netzwerken finden können.

Worum ging es bei der Tagung genau und wer beschäftigt sich mit sowas?

Bei der Tagung waren viele relevante Gruppen und Einzelpersonen versammelt, die sich dem Kampf gegen Extremismus jedweder Art widmen, der zunehmend seine Kommunikation ins Netz verlagert bzw. aus dem Netz gespeist wird.Es gab Fachvorträge zu den Implikationen des Netzdurchsetzungsgesetzes, dessen Stärken wie Schwachpunkte herausgearbeitet wurden, über psychologische Mechanismen, die Hassrede als Projektionshandlung für andere Ängste entlarvte, sowie Workshops zu möglichen und unmöglichen Gegenstrategien und auch kniffligen polizeilichen wie juristischen Fragestellungen über die Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und strafbaren Handlungen.

Wo gibt es da Grenzziehungsschwierigkeiten?

Nun, immer wieder werden Problemfälle herangezogen, um überzogene Zensur- und Überwachungsmaßnahmen einzuführen – gerade da, wo oft mehr Polizeistärke bessere Dienste leisten würde, denn die gemeldeten Fälle können in ihrer Fülle kaum alle überprüft werden. Das NetzDG macht auf mich den Eindruck, als wolle man die Auseinandersetzung mit den Internetgiganten Google, Facebook & Co scheuen, für die es – wie für viele andere globalen Unternehmen – auch international gültige Regelungen geben müsste. Löschung von strafbaren Äußerungen halte ich hingegen für Beweismittelvernichtung.
Auf der anderen Seite sind neue Gesetze auch darum fraglich, weil es bereits einschlägige Regelungen gibt, die auch auf die Internetkommunikation Anwendung finden müssen. Dabei ist im Einzelfall genau zu prüfen, ob etwas eine Verleumdung oder eine Volksverhetzung darstellt. Dazu müssen Daten gesichert werden, Screenshots mit URL, Datum und Uhrzeit archiviert werden. Denn oft werden problematische Inhalte von den Erwischten wieder gelöscht und damit die Beweise vernichtet. Neben der Polizei sind ein weiterer Ansprechpartner die Selbstkontrollinstanzen, etwa die FSM.

Können Sie den Tenor der Tagung kurz zusammenfassen und auch das Fazit für Sie persönlich mit Blick auf das Urteil aus Saarbrücken?

Das passt eigentlich gut zusammen, denn es ging vielfach auch um Solidarität, in dem Fall „digitale Solidarität“. Diese muss gestärkt werden unter den Netzaktivisten und darüber hinaus zwischen allen, die sich für eine menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen und gegen Hass Stellung nehmen. Als ich 2010 vor Gericht stand, weil die Morddrohungen gegen mich, die ich zur Anzeige gebrachte hatte, bei der bayerischen Polizei in eine Strafverfolgung gegen meine Person mündeten, gab es noch vergleichsweise wenig Solidarität von journalistischer Seite weil man tatsächlich meinte, meine Äußerungen seien für die Strafverfolgung ausschlaggebend gewesen. Damals hat ein Politiker eine internationale Solidaritätskampagne mit Unterschriftensammlung initiiert. Einige andere unter der Wortführerschaft von Henryk Broder nutzten die Gelegenheit, mal ordentlich über mich abzulästern, weil ihnen mein Buch „Antisemitismus und Islamophobie“ nicht gefiel. Meine Strafverfolgung hatte aber in der Tat nichts mit meinen Äußerungen zu tun, sondern war selbst ein Produkt rechter Hetze, wie das erstinstanzliche Urteil auch sofort beschied: Ich hatte relevante Fragen zum Mord an Marwa El-Sherbiny am Landgericht in Dresden angesprochen und fordere nach wie vor den Versäumnissen dort nachzugehen, um Vergleichbares zu verhindern. Das angestrengte Revisionsverfahren wurde übrigens mitten in der sog. Sarrazin-Debatte sang- und klanglos eingestellt und der Verhandlungstermin kurzfristig abgesetzt – es wäre vermutlich gut gewesen, im Kontext der Meinungsfreiheitsrufer, wenn es um rassistische Äußerungen geht, auch meine Stimme zu hören, wo es um Meinungsfreiheit in Sachen rassismuskritische Äußerungen ging. Jetzt, wo Journalisten immer öfter Objekt des Hasses und Zielscheibe für Drohungen sind, würde ich gerne nochmal einige Kollegen von damals fragen, ob sie noch der Meinung sind man müsse sich nur entsprechend anders äußern. Das endet nämlich in Zensur und überlässt das Diskursfeld den Falschen.

Sie sind also nicht für Zensur von Hate Speech?

Ich bin nie für Zensur! Ich bin immer für Bewusstseinsprozesse, Bildung im weitesten Sinne und die Schaffung der Voraussetzungen für freie Entscheidungen von Menschen. Dass die Meinungsfreiheit nicht absolut ist und da Grenzen hat, wo das persönliche Recht eines anderen oder der Gesellschaft insgesamt verletzt wird, reicht meiner Meinung nach als Maßstab aus – nach dem aber auch tatsächlich konsequent gehandelt werden müsste. Da wie auch in der Zivilgesellschaft sehe ich im Moment mehr Aufweichung als klare Kantenziehung, wie wir sie schon mal hatten, etwa bei der Selbstkontrollinstanz Presserat.

In welchem Kontext verorten Sie die Debatte um Facebookzensur und anderes? Worum geht es hier? Und vor allem: Wäre derlei ein Schutz für Menschen wie Sie?

Man muss sich anschauen, wer genau die Warner vor Zensur sind und was sie wollen. Fragen Sie doch mal, ob meine wissenschaftlich fundierten Äußerungen auch unter deren Vorstellung von Meinungsfreiheit fallen oder doch eher nur das Herziehenkönnen über andere Minderheiten. Was bei der Debatte oft übersehen wird, ist die Frage der Machtstruktur. Auch der Journalismus täte sehr gut daran, seine idealtypische Rolle als Vierte Gewalt mit tatsächlicher Machtkontrolle zu bestätigen und nicht noch mit zum Vervielfältiger von Hetze gegen Minderheiten zu werden. Je nach Kontext muss man anders einordnen und nicht glauben, wenn man nur Missstände anprangere, dann sei das schon guter und ausgewogener Journalismus.

Vielen Dank für das Gespräch.

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