Kritische Gedanken zum ARD-Magazin Monitor

Oder: Sind die vom Monitor beschriebenen Missstände systembedingt? Wenn ja, durch welches System? Eine kapitalismuskritische Perspektive.

von Uwe Schnabel, Dresden


Georg Restle, Moderator und Leiter des Politmagazins “Monitor”, antwortete in der linken Tageszeitung junge Welt vom 19.09.2020 in der Wochenendbeilage auf Seite 1f kurz vor dem Ende des Interviews auf die Frage: “Sie und Ihre Redaktion berichten Monat für Monat über oft unglaubliche Missstände. Muss man da nicht irgendwann zu dem Schluss kommen, dass diese Missstände systemischer Natur sind? Anders gefragt: Ist ein System wie der Kapitalismus für Sie noch reformierbar?” mit
“Fast alle großen Missstände sind systemischer Natur. Zweifelt irgend jemand daran?”

In dem nun folgenden Text werden einige der in den jüngsten Monitor-Sendungen genannten Missstände aufgegriffen und gefragt, inwiefern diese systemischer Natur sind und ob der Monitor das Systemische benennt. Betrachtet werden hier zwar viele, trotzdem sind sie nur eine Auswahl aus einer viel größeren Menge. Die tiefergehenden Antworten zum Eingebettetsein der Missstände in ein System und weitere Überlegungen, werden in weiteren vertiefenden Texten erfolgen. Hier werden erste Problempunkte aufgezeigt. Weiterführende Überlegungen zu den aufgeworfenen Fragen sind herzlich willkommen.

Am 14.01.2021 22:45 Uhr wurde im WDR die ursprünglich für den 07.01.2021 geplante Sendung nachgeholt. Der Titel lautete “Vergessen im Lockdown: Wie (un)gerecht sind die Corona-Maßnahmen?” (ursprünglich: “Vergessen im Lockdown-Winter: Wie die Corona-Politik die soziale Spaltung verschärft”). Er wurde also entschärft. Wieso? Darf selbst die Gerechtigkeitsfrage nur als Frage formuliert werden, von der Systemfrage ganz zu schweigen?
Entgegen der übrigen Monitor-Sendungen steht das Manuskript nicht auf der Website. Deshalb hier ein Gedächtnisprotokoll: Es wurde anhand einzelner Beispiele gezeigt, dass für einzelne Konzerne Milliardenhilfen gezahlt werden, während einer benachteiligten Schule nicht genug Laptops zur Verfügung stehen, die auch sonst dringend saniert werden müsste. Auch wurde ein Obdachloser erwähnt, der zwar von der Straße vertrieben wurde, aber von der Stadt keine Covid-19-gerechte Unterkunft gestellt bekam, obwohl freie Hotelzimmer vorhanden sind. Er wurde dann mittels Nachbarschaftshilfe in einer Gartenlaube untergebracht. Auch wurde die schwierige Situation Solo-Selbstständiger (Fotograf, Künstlerpaar) und einer Obdachlosenhilfe gezeigt. Eine Person durfte äußern, dass die Politik im Interesse des Kapitals sei. Aber das wurde über die genannten Beispiele hinaus nicht weiter vertieft.
Insgesamt ging der Beitrag damit in die von Georg Restle erwähnte Richtung. Warum wurde aber, wie allerdings in den meisten Radio- und Fernsehsendungen laut Erkenntnissen der Medienwissenschaft üblich, auch hier individualisiert, statt eben die systemische Natur der behandelten Missstände systematisch zu zeigen? Zeigt sich nicht bei der Covid-19-Pandemie wieder, dass die Interessen des Kapitals im Vordergrund stehen, während die sozial Benachteiligten weiter benachteiligt werden? Warum wurde in dieser Sendung eher kritisiert, dass viele Geschäfte viel zu spät geschlossen wurden, statt dass selbst bei Verletzung des Gesundheitsschutzes die Produktion zur Kapitalvermehrung bis heute fortgesetzt wird?

Zum gleichen Thema sagte Georg Restle im Beitrag “Am Rande der Gesellschaft: Corona-Herbst auf der Straße” (Monitor vom 12.11.2020):
“Zur Klarstellung: Menschen in Not haben in Deutschland einen Anspruch auf notwendige und angemessene medizinische Behandlungen. Das ist Ausdruck der Menschenwürde und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, Artikel 1 und 2 Grundgesetz. Und die gelten für alle Menschen, unabhängig von der Herkunft – ob mit oder ohne Papiere.” Stehen im Kapitalismus Grund- und Menschenrechte häufig nicht nur auf dem Papier, müssen sie nicht erkämpft werden oder werden sie eher sowieso Bevorzugten gewährt? Ist diese Behandlung Obdachloser nicht der Regelfall und nicht nur auf Hamburg beschränkt? Warum wurde der Vorschlag, Obdachlose und Menschen aus Sammelunterkünften in die leeren Hotelzimmer unterzubringen, nicht berücksichtigt? Weil das Geld kostet und dies dem Kapital und nicht den durch das Kapital Benachteiligten zur Verfügung gestellt werden soll?

Dazu passt auch “Gut bezahlte Lobbyisten: Das Beraternetzwerk von Wirecard” (Monitor vom 28.01.2021): Dort wird wieder gezeigt, wie durch enge Verbindung zwischen Kapital (hier Wirecard) und Politik, Journalismus usw. Milliardenbetrug möglich ist. Basiert der Kapitalismus nicht überhaupt zum großen Teil auf dem, was umgangssprachlich Betrug genannt wird? Wird nicht im Regelfall versucht, möglichst viel Profit zu machen und dabei eher geworben, als die Wahrheit gesagt? Ist also der Fall Wirecard bestenfalls Teil der Spitze des Eisberges des kapitalistischen Systems, d.h., gibt es nicht viele ähnliche, teils minderschwere Fälle? Wäre es somit nicht sinnvoll, dies nicht als Wirtschaftsskandal, sondern als normalen Teil des kapitalistischen Systems zu bezeichnen?

Um einen anderen Großkonzern und seine Verbindung zur Politik ging es in “Friedrich Merz und BlackRock: Plötzlich alles grün?” (Monitor vom 03.12.2020): Warum war zwar zuerst von einem “Giganten der kapitalistischen Weltordnung”, aber dann nur von BlackRock und Friedrich Merz die Rede? Warum wird ein “Experte für nachhaltige Finanzprodukte” zitiert? Gibt es so etwas und nicht nur mehr oder weniger zerstörerische? Müssen Finanzprodukte nicht zuerst Gewinn abwerfen und nicht Bedürfnisse befriedigen? Ist nicht auch der Versuch, zerstörerische Kapitalaktivitäten als grün und nachhaltig zu bezeichnen, ein normaler Teil des kapitalistischen Systems?

Um das Diktat des Kapitals gegenüber der Politik ging es auch in “Erfolg der Lobbyisten: Wie das Lieferkettengesetz demontiert wurde” (Monitor vom 18.02.2021): “Der Bundeswirtschaftsminister als verlängerter Arm der Wirtschaftsverbände? Was ist dran an der Kritik? MONITOR liegt der Schriftverkehr der vergangenen Jahre zwischen Wirtschaftsverbänden und der Bundesregierung vor. E-Mails, Stellungnahmen, Forderungen. Sie zeigen, die Verbände hatten offenbar einen mächtigen Verbündeten: Bundeswirtschaftsminister Altmaier. Das Gesetz sollte von Anfang an verhindert werden, sagen auch Koalitionsabgeordnete.”
“Die zuständigen Minister stellen ihr Lieferkettengesetz vor. Und tatsächlich: Die zentralen Forderungen der Verbände wurden fast 1:1 umgesetzt. Zum Beispiel bei der Unternehmensgröße. Laut dem aktuellen Entwurf gilt das Gesetz nur noch für große Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten.”
“Anfangs war geplant, die ‘gesamte Lieferkette’ eines Unternehmens zu berücksichtigen. Im aktuellen Entwurf geht es nur noch um die ‘unmittelbaren Zulieferer’.”
“Und der dritte und entscheidende Punkt: Die ‘zivilrechtliche Haftung’. Sie soll es Opfern von Menschenrechtsverletzungen ermöglichen, einfacher Schadenersatzforderungen vor deutschen Gerichten geltend zu machen.”
Armin Paasch, Misereor: “Es ist besorgniserregend, dass die Wirtschaftslobby und der Wirtschaftsminister sich in zentralen Aspekten durchgesetzt haben. Die zivilrechtliche Haftung wurde gestrichen, die Umweltstandards sind nur marginal berücksichtigt. Die Anzahl der erfassten Unternehmen wurde mehr als halbiert und die Sorgfaltspflichten gegenüber den mittelbaren Zulieferern wurden deutlich abgeschwächt. Und das ist ein Skandal, dass Profite über die Menschenrechte gestellt werden.”

Ein Skandal, wie Armin Paasch von Misereor meint? Oder ist, dass Profite über die Menschenrechte gestellt werden, normaler Teil des kapitalistischen Systems? Zeigen nicht auch die in diesem Beitrag genannten Beispiele und dass die Politik das jahrzehntelang zumindest geduldet, wenn nicht gar unterstützt hat, dass eher die Berücksichtigung von Menschenrechten im kapitalistischen System die Ausnahme ist? Oder wie Georg Restle auf den Wirtschaftsrat der CDU eingeht, der von “linksideologischen Themen” spricht und “fordert, das Zitat: ‘Lieferkettengesetz muss im Bundestag gestoppt werden'”: “Menschenrechte als linke Ideologie. Man fragt sich, wohin da einige mittlerweile abgedriftet sind in der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands.”
Wirklich abgedriftet oder zeigt das nicht einfach die realen Machtverhältnisse in der BRD und dass Menschenrechte im Normalfall Kapitalinteressen untergeordnet werden?

Gilt die Frage, ob etwas ein normaler Teil des kapitalistischen Systems ist, nicht auch für die Sendung vom 07.01.2021, in der es um verschiedene Themen im Zusammenhang mit Donald Trump ging? So wird in “Trumps Angriff auf die Demokratie” zu Trumps Amtsperiode von Georg Restle festgestellt: “Ein Albtraum für alle, die an den wichtigsten Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats festhalten. Prinzipien wie Gewaltenteilung, eine unabhängige Justiz und der Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle gleich sind.” Wenn vor dem Gesetz alle gleich wären und es eine unabhängige Justiz gäbe, gäbe es nicht die vielen Morde an Afroamerikanern durch die Polizei, die weitestgehend ungesühnt bleiben, würden die Kapital- und Kriegsverbrecherinnen und nicht ihre Opfer und die Widerstandsleistenden im Gefängnis sitzen usw. Und ist das nicht erst unter Trump so, sondern in der gesamten US-Geschichte?

“Tatsächlich aber bedeutet seine Präsidentschaft einen beispiellosen Angriff auf die US-amerikanische Demokratie.” Oder hat er nicht einfach die Politik seiner Vorgänger bezüglich Durchsetzung von Kapitalinteressen, einschließlich mit militärischen Mitteln, Sanktionen usw. fortgesetzt? Bestand nicht der Unterschied darin, dass er seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt hat und deshalb die anderen Kapitalfraktionen, einschließlich der deutschen, darüber verärgert waren? Wurde nicht der “Bau des Grenzwalls zu Mexiko” schon von seinen Vorgängern begonnen, einschließlich der Inkaufnahme oder gar Forcierung der vielen toten Geflüchteten? “Russland-Affäre”: Musste nicht selbst der von seinen politischen Gegnern dominierte Untersuchungsausschuss zugeben, dass es keine Beweise für eine Einmischung Russlands in den US-amerikanischen Wahlkampf gegeben hat? Zeigt die Behauptung einer “Russland-Affäre” nicht auch, dass sowohl Trump als auch die gegnerischen Kapitalfraktionen es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, dies also systemischer Natur ist, nicht nur im Kapitalismus, sondern in allen Herrschaftssystemen zu Sicherung der eigenen Herrschaft? “Black-Lives-Matter-Proteste”: Hat nicht auch die gewaltsame Unterdrückung der Proteste gegen die Ermordung von AfroamerikanerInnen eine lange Tradition? Gab es in den USA jemals Demokratie? Bestimmt nicht eher das Kapital, verkürzt ausgedrückt: die wirtschaftlich Mächtigen? Wurde die USA nicht von Sklavenhaltern gegründet? Die Einheimischen durch Landraub verdrängt? War das nur die Degeneration einer guten Idee oder wurden nicht von vornherein viele Gruppen (Einheimische, Versklavte, Frauen) als nicht vollwertige Menschen ausgeschlossen? Wurden zwar gewisse Institutionen der matriarchalen Gesellschaft der Irokesinnen übernommen (z.B. Delegiertenprinzip), die Grundprinzipien aber nicht, so dass von vornherein gesichert war, dass nur eine Minderheit entscheidet? Wurden nicht häufig soziale Bewegungen gewaltsam unterdrückt? Wurde nicht auch vor (Justiz-)Mord nicht zurückgeschreckt? Ist es ein Zufall, dass häufig die Superreichen einen großen Einfluss haben, direkt in der Politik oder durch große Wahlkampfspenden?

Dazu passt auch “Rückkehr der US-Falken: Das Netzwerk von Joe Biden” (Monitor vom 12.11.2020): Georg Restle: “Klar, gegenüber Donald Trump wirkt Joe Biden wie eine demokratische Lichtgestalt. Dabei gerät schnell in Vergessenheit, welche Politik der nächste US-Präsident jahrzehntelang vertreten hat und wofür er vor allem außenpolitisch steht.” Zeigt dies nicht, dass unabhängig davon, wer Präsident*in der USA ist, die Außenpolitik der USA aggressiv ist? Fördert der Kapitalismus mit seiner Profitlogik nicht überhaupt aggressive Politik, wenn sich die Menschen nicht ausbeuten lassen wollen?

Zurück zur Sendung vom 07.01.2021 “Trumpismus weltweit”:
Georg Restle: “Und die wollen nur eins: die Institutionen der Demokratie quasi sturmreif schießen.” Welcher Demokratie? Dort, wo das Kapital diktiert? Wie dies geschieht, wurde auch in Monitor schon oft dargestellt (Lobbyarbeit, Wechsel zwischen Politik und direktem Kapitaldienst oder sogar personelle Verschmelzung, Erarbeitung entsprechender Gesetzesvorlagen, Schiedsgerichte usw.).”Der Sturm aufs Kapitol. Ein tobender Mob im politischen Zentrum der USA”: Ähnliche Ereignisse z.B. in Belarus, der Ukraine, Hongkong, Venezuela, Nicaragua, Bolivien usw., vom versuchten Umsturz in Syrien und dem erfolgreichen in Libyen ganz abgesehen, wurden von vielen derjenigen begrüßt, die den Sturm aufs Kapitol verurteilen. Im Gegenteil, sie haben selbst die Gewalt der Umstürzler unterstützt und zum Sturz der jeweiligen Regierung aufgerufen und dies mit vielfältigen Mitteln zu fördern versucht. So kritikwürdig wie der Sturm aufs Kapitol ist: Zeigt das nicht wieder einmal, dass es anderen (NATO-)Staaten nicht um Demokratie, sondern um die Durchsetzung ihnen genehmer Regierungen/Regimes geht? Die Einmischung der BRD in den US-amerikanischen Wahlkampf war ja nicht zu übersehen und zu überhören.
Warum geht es bei Monitor eher um QAnon, “Rassisten, Verschwörungstheoretiker, sogenannte ‘Neue Rechte'”? Ist die “Politik der Verfeindung und … Politik, den sozialen Frieden in der Gesellschaft fast maximal zu zerstören” nicht auch in anderen Kapitalfraktionen weit verbreitet und systemischer Natur?

“Reaktionen der Anti-Demokraten”: Anti-Demokraten, “die ein ähnlich zweifelhaftes Verhältnis zur Demokratie haben”, wie z.B. die BRD-Regierung (“marktkonforme Demokratie”, Erpressung Griechenlands usw.)? Ach, die waren nicht gemeint? Im Kommentar von Annerose Skupin wurde festgestellt, dass “im Beitrag über Trumps best friends eigentlich Israels Premier Bibi Netanjahu” fehlt. Auch M. Seebach stellt fest: “Benjamin Netanjahu gehört ja wohl auch zu den ‘Freunden’ von Präsident Trump.” Warum werden die, die USA nicht “als Beispiel für Demokratie” sehen (z.B. der Sprecher der russischen Duma), als Anti-Demokrat verleumdet?
Georg Restle: “Eine Frage bleibt: Wie kann man eine Demokratie vor ihren Feinden schützen, wenn eine Mehrheit solche Feinde in die höchsten Ämter eines Staates wählt?”

Gilt dies nicht gewissermaßen auch für die BRD oder den Staat im Kapitalismus insgesamt? Wie antidemokratische Positionen durch das kapitalistische System in der BRD gefördert werden, ist auch im Beitrag
“Corona-Hotspot Bautzen: Hochburg der Verschwörungsmythen” (Monitor vom 03.12.2020) zu sehen: Warum wird mit “Hotspot der Corona-Leugner, der Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten” und “Melange aus Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremen und Corona-Leugnern” angefangen und in diesem Ton fortgesetzt? Warum wird sehr viel individualisiert? Wie diese Meinungen durch den Kapitalismus gefördert werden, wird in medien-meinungen.de/2020/12/covid-19-in-den-mainstream-medien-und-die-folgen thematisiert, wie dies selbst der franzsösische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty in Buch und DLF-Interview unter dem Titel „Ungleicheit und Ideologie“ herleitet.

Umfassende Menschenrechtsverletzungen im Interesse des Profits gibt es aber nicht nur bei uns oder in den USA, sondern durch EU-Konzerne auch in vielen anderen Ländern, wie z.B. in “Hochgiftige Pestizide: In Europa verboten – in die Welt exportiert” (Monitor vom 12.11.2020) erwähnt wird:
Georg Restle: “Hochgiftig, toxisch, lebensgefährlich. … Deshalb sind viele solcher Stoffe in Europa nicht zugelassen. … sie dann zu exportieren. Meistens in die ärmeren Länder der Welt, wo ein Menschenleben offenbar weniger wert ist als bei uns – zumindest, wenn es nach aktuellen, deutschen und europäischen Exportregeln geht. … einen ganz legalen Umweltskandal …” Wieso ein Skandal und nicht einfach Folge des Profitinteresses? Sind die Stoffe hier nicht vielmehr deshalb nicht zugelassen, weil der Widerstand bei uns zu groß ist und nicht nur, weil sie lebensgefährlich sind? Ist der Widerstand in den ärmeren Ländern der Welt zwar nicht teilweise größer, wegen der Machtungleichgewichte aber weniger erfolgreich? Zeigt dies nicht die kapitalistischen Funktionsprinzipien: Menschenrechtsverletzungen im Interesse des Profits, in den profitierenden Ländern Demokratiesimulation, in den ausgeplünderten Ländern stärkere Zerstörung selbst bei großem Widerstand?

Und was mit denjenigen passiert, die vor dieser Zerstörung fliehen, wird in “Vergessene Tote: Europas neue Abschottungspolitik” (Monitor vom 03.12.2020) gezeigt: Der Beitrag beginnt nach den einleitenden Worten mit dem Bericht von “einer dramatischen Rettungsaktion”. “Dass Schiffe jetzt nicht auslaufen dürfen, ist für den Ratsvorsitzenden (der evangelischen Kirche in Deutschland) ein politischer Skandal.” Georg Restle: “… Eines scheint aber immer deutlicher zu werden, allein mit Abschottung wird die Europäische Union dem Flüchtlingsproblem nicht Herr werden. Und ihren hohen menschenrechtlichen Ansprüchen keinesfalls gerecht.” Wie erwähnt: Stehen die hohen menschenrechtlichen Ansprüche häufig nur auf dem Papier? Kommen sie häufig nicht nur in den Sonntagsreden vor, werden aber im Profitinteresse Menschenrechte durch die EU systematisch missachtet? Gilt das nicht sowohl für die Verursachung von Flucht (Ausplünderung und Zerstörung der Länder mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln, Klimaerwärmung, Waffenexporte, Militäreinsätze usw.), als auch für die Geflüchteten-Bekämpfung? Wieso wird von einem „Flüchtlingsproblem“ gesprochen und nicht von den Problemen, die zur Flucht führen und den Problemen, die die Geflüchteten durch das herrschende System haben? Man könnte auch darauf hinweisen, dass durch Geflüchtete auf Probleme des globalen Wirtschaftssystems, das mit Klimakrise und Ressourcen-Kriegen einher geht, verwiesen wird.

Zeigt sich das rassistische Vorgehen nicht nur an den Außengrenzen, sondern auch im Inland nicht auch in “Ein Jahr nach dem Attentat von Hanau: Tödliche Versäumnisse?” (Monitor vom 28.01.2021) und in “studioM – Rassismus in letzter Instanz?” (17.2., 23 Uhr)?

Und scheinbar nicht direkt im Zusammenhang mit dem Kapitalismus wird das Vorgehen in “Missbrauch im Erzbistum Köln: Instrumentalisierte Opfer?” (Monitor vom 12.11.2020) behandelt: Zeigt dies nicht wieder, dass große Machtunterschiede Machtmissbrauch fördern? Und fördert der Kapitalismus, so wie andere auf Ungleichheit und Herrschaft beruhende Systeme, Machtunterschiede?

Ich könnte auch noch alle vorhergehenden Sendungen untersuchen. Immer wieder kann ich fragen: Liegen die Missstände systembedingt am Kapitalismus, also dem sich immer wieder durchsetzenden Prinzip der Gewinnakkumulation im Gegensatz zu Menschenrechen und echten Bedürfnissen, unabhängig von den konkret handelnden Personen? Werden also im Interesse des Gewinns, also der Kapitalvermehrung, auch von staatlicher Seite Grund- und Menschenrechte immer wieder verletzt, um das Kapital zu vergrößern, auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung und der Umwelt bei uns und in anderen Ländern? Führt die Kapitalmacht nicht immer wieder zu einer engen Verflechtung von wirtschaftlicher, medialer und politischer Macht? Wird dabei nicht häufig die Wahrheit verdreht, um diese Gewinninteressen durchzusetzen, einschließlich Lob und Werbung für bestimmte Kapitalfraktionen, Skandalisierung und Individualisierung unleugbarer Missstände? Wie sind insgesamt die Machtverhältnisse? Sind die Gründe mit den Worten Georg Restles: “systemischer Natur”? Und verweist er in seiner Sendung ausreichend auf dieses System?

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