Erste Überlegungen zum Eingebettetsein von Missständen in ein Kapitalsystem
von Uwe Schnabel, Dresden
In meinem ersten Beitrag “Gedanken zum ARD-Monitor” habe ich relativ am Anfang versprochen, dass ich tiefergehende Antworten zum Eingebettetsein der erwähnten Missstände in ein System und zu den am Ende zusammengefassten Fragen zu einzelnen Beiträgen verschiedener Monitor-Sendungen in weiteren Texten behandle. Dies ist nun der erste dieser versprochenen Texte. Weiter vertiefende folgen.
Zur Klarstellung vorweg: Die „kritische[n] Gedanken zum ARD-Magazin Monitor“ sind im eigentlichen Sinne keine Kritik an den Monitor-Sendungen oder an Georg Restle. Sondern im Gegenteil: Ich wollte Restles Antwort im jW-Interview: “Fast alle großen Missstände sind systemischer Natur.” ausdrücklich unterstützen und vertiefen. Diese Antwort und einige der vielen Monitor-Beiträge waren der Anlass für eine vertiefende Betrachtung. Dies ist als Unterstützung für Georg Restle zu werten, damit er zukünftig mehr Möglichkeiten bekommt, in den Monitor-Sendungen diese Zusammenhänge darstellen zu können. Das geschieht im vollen Bewusstsein, dass er von rechts massiv angegriffen und bedroht wird, was ich ausdrücklich ablehne. Das zeigt, dass diejenigen, die ihn von rechts kritisieren, keine Argumente haben, sondern nur mit Einschüchterungen und Gewalt vorgehen. Ich dagegen will nicht angreifen oder bedrohen, sondern u.a. entsprechend den Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation die verschiedenen Bedürfnisse berücksichtigen, die Betrachtung vertiefen und die Diskussion voranzubringen.
Relativ einleuchtend und von den meisten akzeptiert ist, dass die meisten Finanzprodukte jenseits des Bedarfs existieren, wie u.a. in “Gut bezahlte Lobbyisten: Das Beraternetzwerk von Wirecard” und “Friedrich Merz und BlackRock: Plötzlich alles grün?” gezeigt wurde. Deshalb sind Forderungen nach Abschaffung des Zinses und mehr Investitionen in produktive Bereiche entsprechend sozialer und ökologischer Kriterien weit verbreitet.
Viele von diesen Zinskritiker(inne)n und Befürwortenden einer ökologischeren und sozialeren Gesellschaft befürworten durchaus Kapitalgewinne, sie sollen aber gleichzeitig mit gesellschaftlichem Nutzen in sozialer und ökologischer Hinsicht verbunden werden, z.B. Gemeinwohlökonomie oder ethisches Investment.
Allerdings gibt es dabei viele Probleme:
Schon seit einiger Zeit haben wir Null- oder Negativzinsen, ohne dass sich an den Problemen etwas grundsätzlich gebessert hat. Es geht also nicht nur um Zinsen, sondern um Kapitaleinkünfte insgesamt.
Die reichsten Männer kommen nicht aus der Finanzwirtschaft. Überhaupt ist die Finanzwirtschaft mit der Produktion eng verbunden, wie schon seit über 100 Jahren bekannt ist. Also betrifft die Gewinnerzielung jenseits des Bedarfs nicht nur Finanzprodukte. Das ist ein allgemeineres Problem.
Um die Produktionsmittel zu erneuern oder Investitionen in soziale und ökologische Bereiche zu ermöglichen, sind keine Gewinne notwendig. Eine Bilanz ohne Gewinn und Verlust wäre ausreichend, zumindest langfristig.
Gewinn bedeutet dagegen, dass immer mehr produziert werden muss oder eine Umverteilung von unten nach oben erfolgt, meist beides. So entsteht ein Wachstumszwang. Der Gewinn kann auch nur realisiert werden, wenn mehr verkauft wird, was wiederum zur Voraussetzung hat, dass die Nachfragenden ein höheres Einkommen haben müssen, also mehr arbeiten müssen usw. Auch das verstärkt den Wachstumszwang. Dazu später in Folgetexten mehr.
Und die Aussage, dass sich Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lässt, wurde immer wieder widerlegt. Das liegt auch am Rebound-Effekt: Wenn pro Einheit eines Produkts oder einer Dienstleistung weniger Ressourcen verbraucht werden, werden einfach mehr Einheiten davon hergestellt. Hinzu kommt noch der indirekte Rebound-Effekt: Wenn in einem Bereich eingespart wird, wird in einem anderen Bereich mehr verbraucht.
Somit sind Gewinne zerstörerisch, selbst wenn sie mit weniger schädlichen Produkten erzielt werden und wenn sie anschließend zumindest teilweise für sinnvolle Zwecke verwendet werden.
Viele Betriebe, vor allem größere und damit mächtigere beantworten die Forderungen nach mehr sozialer und ökologischer Verantwortung hauptsächlich mit bunten Prospekten und sonstiger Werbung, bei der sie ihre diesbezüglichen Aktivitäten umfangreich darstellen. In kleinen Nebenaspekten unternehmen sie auch etwas, z.B. Bäume pflanzen, während sie gleichzeitig auf “nachhaltiges” profitables Wachstum (richtig gelesen: profitables Wachstum) setzen und so die Probleme weiter verschärfen.
Viele, vor allem kleinere, Betriebe, die wirkliche Verbesserungen wollen, können das nur im beschränkten Maße. Sie können ja nicht dauerhaft Verluste machen, wenn nicht diese von außen immer wieder ausgeglichen werden. Aber auch die Zuschüsse von außen müssen ja irgendwoher kommen.
Somit ergibt sich: Der Zwang zur Gewinnerzielung und der damit verbundene Wachstumszwang führen dazu, dass die Profite vor Bedürfnisbefriedigung, also Bilanzzahlen vor menschlichen Bedürfnissen Vorrang haben. Egal womit also Umsatz und Gewinne erzielt werden: Wenn hauptsächlich die Bilanz zählt, werden Menschen und Umwelt so ausgebeutet, dass die Lebensgrundlagen zerstört werden. Selbst, wenn wir alle wissen würden, dass man Geld nicht essen kann, sind wir innerhalb des kapitalistischen Systems gezwungen, so zu handeln, dass wir das System stützen, um überhaupt unsere Lebensgrundlagen zu sichern.
Grundlegendes kann nur in sehr beschränktem Umfang innerhalb des kapitalistischen Systems geändert werden. Statt des kapitalistischen Prinzips müsste also der Maßstab des Erfolgs ein anderer sein als das Bruttosozialprodukt/-inlandsprodukt im Großen oder das Einkommen im Kleinen, also der in Geld ausgedrückte Wert: Der Gebrauchswert, also inwiefern etwas für Mensch und Umwelt nützlich ist, also ihre Bedürfnisse befriedigt.
Auch dazu ein andermal mehr.