Das Opfer der FDP

oder: Über die Wirkmächtigkeit der Extremismusformel

Folgt man dem Tweet der Jungliberalen, dann war die Wahlannahme Thomas Kemmerichs als Ministerpräsident im Thüringer Landtag eine Art Notwehr. Wohl wissend, dass – bei fehlender Stimme für den AfD-eigenen Kandidaten – die Wahl nur mit dem Votum der AfD-Abgeordneten unter dem Rechtsaußen Höcke zustande gekommen sein konnte, nahm der Aachener Kemmerich, der mit knappen 5 Prozent Wahlanteil gerade noch so in den Landtag gerutscht war, die Wahl für das wichtigste Amt im Land an.


Die Erschütterung und Empörung war groß, zu spät kam die Demission. Die „Lieber nicht regieren, als falsch regieren“-Bundes-FDP wiegelte zu lange ab. Eineindeutig auch das Verhalten der Thüringer CDU. Der FDP-Parteivorsitzende Lindner äußerte sich weniger dezidiert gegen die Normalisierung faschistischer Parteien als andere Parteimitglieder und stellt schnell die Vertrauensfrage. Die Jungliberalen rechtfertigen unter anderem in einer Tweetfolge am 5. Februrar 2020 Kandidatur und Annahme der Wahl. Und dies mit einer beliebt gewordenen, floskelhaften Gleichsetzung:
„… eine demokratische Alternative zu den Kandidaten der Linken und der AfD … Er hat damit einen Landeschef von den Rändern verhindert…“


Die hier verhaltener als an vielen anderen Stellen aus dem Parteienspektrum deutlich werdende Gleichsetzung von Links und Rechtsextrem entspricht dem Sprech der sogenannten Extremismusformel Eckhard Jesses und Uwe Backes` und ihrer Zuarbeiter – den einstigen Verantwortlichen für die Ausrichtung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), dem Innenministerium (BMI) und schließlich in dieser Reihung logisch dem Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz (VS). Wie stark die genannte Extremismustheorie wirkt, lässt sich an all den Stellungnahmen ablesen, die Kemmerich als „Kandidat der Mitte gegen einen extremen Rand“ – also Links und Rechts – verteidigen über viele Parteigrenzen hinweg und in Medien häufig unwidersprochen.
Wie kann das sein, angesichts der Tatsache, dass die politisch umstrittene Theorie in der Wissenschaft gänzlich marginalisiert ist? Dies könnte in der Theoriestützung für Jesse und Backes These begründet liegen, die etwa die finanzielle Stützung ihres „Jahrbuch Extremismus & Demokratie umfasst, so dass es als ernstzunehmende Grundlage von der Wissenschaft zunächst erörtert wurde. Dies zerschlug sich schnell, da das Jahrbuch in nicht geringen Teilen von Doktoranden Jesses befüllt wurde. Aber bekannte Rechtsaußen, wie Hans-Helmuth Knütter und Günter Reichert, konnten als bildungspolitisch Verantwortliche in der bpb damit ihre Verharmlosung rechtsextremer Gesinnung und Geschichtsklitterung in der Öffentlichkeit vertreten und institutionell fördern.

Lechts und Rinks kann man nicht velwechsern, werch ein Illtum… (Ernst Jandl)


Seither ist es zum wiedererkennbaren Ritual geworden, bei Verbrechen von Rechtsextremisten auf die Gefahr eines Linksextremismus zu verweisen und damit den Faschismus zu relativieren. Reichert, Mitglied in der rechtsextremen Deutschen Gildenschaft und von 1992-2000 Leiter der bpb, und Knütter, wissenschaftlicher Beirat derselben und Redner bei rechtsradikalen Vereinigungen sowie gleichzeitig vielfach geladener Referent im Bundesinnenministerium, sorgten dafür, dass die randständige Theorie in der politischen Bildung Gewicht erhielt. Bis dann das BMI und die Geheimdienste diese Struktur übernahmen, war es nur ein kleiner Schritt (ausführlicher Schiffer/Kleer 2019 in: „Kopflanger“, Nr. 77/78 KultuRRevolution).


Die wissenschaftlich verworfene Theorie von den extremen Rändern, die sich hufeisenförmig am Ende des politischen Spektrums wieder treffen würden und gleichsam von der damit idealisierten Mitte abzugrenzen und zu verfolgen seien, wird auch weiterhin von der Politik in Deutschland hofiert und von einigen Teilen des Journalismus nachgeplappert. Sie scheint nützlich, wenngleich auch unhaltbar.


Eingeebnet wird damit ein wichtiger Unterschied zwischen Faschismus und linken radikalen Ansichten: das diametral gegensätzliche Menschenbild. Die einen halten die Menschen für natürlich ungleich, sich selbst für Herrenmenschen und bekämpfen einen Staat, der in seinen Grundsätzen die Gleichwertigkeit aller Menschen formuliert. Die anderen bekämpfen das Wirtschaftssystem, wenn es damit Ungleichheit befördert, weil man derlei Privilegiensysteme ablehnt und als Grundlage für faschistische Entwicklungen ausmacht – soweit, so idealtypisch.


Nun könnte man sich an diesen Unterschieden abarbeiten, wenn man eine inhaltliche Auseinandersetzung wollte, die demokratietheoretisch von Wert wäre. Nützlicher erscheint anscheinend jedoch den etablierten Parteien in der sogenannten Mitte, deren Stern in der Wohlstandspolarisierung sinkt, diese Gleichsetzung opportun zu bedienen und damit letztendlich den Faschismus zu verharmlosen, wovon ja die Ausweitung rechtsextremer Netzwerke, deren Waffenbeschaffung und Schießausbildung, das Anlegen von Feindeslisten und der Beginn mit politischen Morden in dieser Mitte zeugen.


In dieser Tendenz ist die Entscheidung der Thüringer FDP die logische Fortsetzung dessen, wofür in früheren Jahren alle Parteien der Mitte verantwortlich zeichnen – inklusive der jetzt fast triumphierenden SPD – denn man bewegt sich hier in alter Tradition, aus Antikommunismus den Faschismus zunächst zu verharmlosen und ihm damit zu Normalisierung und Macht zu verhelfen. Die Reaktion der Liberalen kann man nicht als „Opfer“ durchgehen lassen, sondern man darf sie als Anmaßung empfinden, die es in Kauf nimmt, dass die Demokratie zum echten Opfer wird.

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