
von Eric Bonse, Brüssel
Wie Faktenchecker arbeiten – Das Beispiel der Europawahl
Wie arbeiten die Faktenchecker in der EU? Welche Fakten werden geprüft, welche nicht? Und welche Rolle spielen dabei die EU-Institutionen? Diese Fragen sollen hier am Beispiel der Europawahl im Juni 2024 untersucht werden. Diese Wahl war die bisher größte Bewährungsprobe für das so genannte „Ökosystem“, das sich rund um den DSA entwickelt hat. Unter dem Titel „European elections: EU institutions prepared to counter disinformation“ kündigte die EU-Kommission am 5. Juni 2024 eine europaweite konzertierte Aktion zur „Bekämpfung von Desinformation“ an.[1]
Faktenchecks spielten dabei eine zentrale Rolle. Einerseits legitimieren sie den Einsatz der EU gegen angebliche Manipulationen: Institutions, authorities, civil society actors and fact-checkers such as the European Digital Media Observatory (EDMO), the European Fact-Checking Standards Network and EUvsDisinfo have detected and exposed numerous attempts to mislead voters with manipulated information in recent months.[2] Weil so viele Falschmeldungen und Versuche der Manipulation entdeckt worden seien, die die Wähler täuschen könnten, müsse die EU aktiv werden, so das Argument.
Andererseits sollen die Faktenchecker helfen, die Wahlen vor „falschen“ Informationen und „schädlichen“ Diskussionen zu schützen. Das von Brüssel geförderte EDMO hat dazu sogar eine eigene Taskforce eingesetzt.[3] The Task Force is set up by the European Digital Media Observatory to monitor and counter any attempts to condition and undermine public confidence in the democratic process. The aim is to provide useful information and tools in the effort to promote an honest European debate in the run-up to the elections. Es ginge darum, das „Vertrauen in den demokratischen Prozess“ zu sichern.
Gemessen an den eigenen Ansprüchen hat dieses System gut funktioniert. Nach Angaben von EDMO ist es bei der Wahl zu keinen größeren Desinformations-Ereignissen oder anderen Zwischenfällen gekommen; die Taskforce habe sich bewährt.[4] Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien der EU-Kommission, bilanzierte im Herbst 2024 in Brüssel, dass der präventive Regulierungsansatz gut funktioniert habe. Die EU-Institutionen und das System der Faktenchecker hätten den „Stresstest“ der Wahl bestanden.[5]
Allerdings war der „Stress“ eher gering. Die Europawahl 2024 wurde nicht von großen gesellschaftlichen Kontroversen geprägt wie noch 2019, als die Klimabewegung mobil machte. Es gab auch keinen Lagerwahlkampf und keinen Clash der Spitzenkandidaten. Während 2019 zwei prominente Politiker um die Führung der EU-Kommission stritten, war das Ergebnis 2024 absehbar: Behördenchefin Ursula von der Leyen trat wieder an und musste keine Konkurrenz fürchten; ihr größter Herausforderer war Nicolas Schmit, der ihr fünf Jahre als EU-Kommissar gedient hatte.[6]
Da es kein spannendes Politiker-Duell gab und auch keine Richtungswahl anstand, rückte die Auseinandersetzung zwischen Pro-Europäern und Populisten bzw. EU-Gegnern in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Das Europaparlament präsentierte die Wahl als schicksalshafte Entscheidung zwischen der Demokratie und ihren Feinden. Dieses offizielle „Framing“ wurde durch die Wahlwerbung unterstützt.[7] Sie spielte auf den historischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und den Kommunismus an, setzte auf Emotionen und zielte auf eine hohe Wahlbeteiligung.
Die Faktenchecker unterzogen dieses ungewöhnliche Framing ebenso wenig einer kritischen Prüfung wie das institutionelle Setting. Sie konzentrierten sich auf andere Themen – nämlich jene, die die Debatten in den digitalen Medien beherrschten und für Kontroversen sorgten. Neben dem Krieg in der Ukraine waren dies der Klimawandel und der „European Green Deal“ sowie der Krieg in Israel bzw. in Gaza. Außerdem wurden viele Informationen in Bezug auf nationale bzw. regionale Themen richtiggestellt. Demgegenüber fielen falsche Behauptungen über den Wahlprozess kaum ins Gewicht.[8]
Folgt man dem Abschlussbericht von EDMO zur Arbeit der Taskforce für die Europawahl, so stieg die Zahl EU-bezogener Desinformationen im Vorfeld der Abstimmung deutlich an. Dies habe den Einsatz der Faktenchecker gerechtfertigt, heißt es in Brüssel. Mit einem Anteil von 15 Prozent am Gesamtvolumen der Falschmeldungen lag diese Zahl aber nicht auf einem bedrohlichen Niveau. EDMO publizierte 27 „Frühwarnungen“ zu möglichen Desinformations-Ereignissen; letztlich kam es jedoch nicht zu den befürchteten großen Angriffen von ausländischen Akteuren.[9]
Selbst eine mutmaßlich prorussische Einflusskampagne um die Webseite „Voice of Europe“ und den AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah bzw. dessen Assistenten, die Brüssel kurz vor der Europawahl aufschreckte, spielte am Ende nur eine Nebenrolle. Ein Faktencheck von dpa brachte kaum Licht ins Dunkel.[10] Stephan Mündges, Koordinator des von der EU gesponserten European Fact-Checking Standards Network EFCSN, fasst die Erfahrungen aus mehr aus 2300 Faktenchecks zur Europawahl und ihrer Auswertung in der Datenbank Elections24Check so zusammen:[11]
We expected the Ukraine war to come up top of the list. What we didn’t expect was that false claims related to climate change would be second. False claims in our database range from the greatest hits of climate change-denialism (‘climate change is natural phenomenon!’) to very specific falsehoods regarding local countermeasures (‘Decrees against drought in Catalonia establish the expropriation of private swimming pools’) and to misleading claims against EU policies (‘the EU is going to ban the repair of cars older than 15 years’).
Die „Fake News“ zum Klimawandel kamen, wie man diesem Zitat entnehmen kann, nicht etwa aus dem „feindlichen Ausland“ (also aus Russland), sondern von inländischen Akteuren innerhalb der EU. Ob sie die Europawahl beeinträchtigt und den grünen Parteien geschadet haben, lässt sich aus den verfügbaren Daten nicht ableiten. Unklar ist auch, welche Rolle die Kampagnen zum Krieg in Israel/Gaza und Nahost gespielt haben. Selbst beim Großthema Ukraine bleibt offen, ob und wie die Faktenchecks gewirkt haben. Aus der Quantität lässt sich nicht auf die Qualität schließen.
Eine neue Qualität hatte aber sicher die Zusammenarbeit mit Akteuren, die in früheren Wahlen keine oder nur eine Nebenrolle gespielt haben. Neben den Faktencheckern und denen ihnen verbundenen Medien sind dies die großen Internet-Plattformen und Suchmaschinen, aber auch relativ neue Player wie die Google News Initiative. Sie lancierten eigene Projekte wie den „Elections24Check“. Ziel war es, die länderübergreifende Zusammenarbeit zu verstärken und den Zugang zu „verifizierten Informationen“ zu erleichtern, damit die Wähler „begründete Entscheidungen“ treffen können.[12]
Die EU-Kommission gab Richtlinien („Guidelines“) für die Plattformen heraus, die ihnen helfen sollten, „systemische Risiken“ bei der Europawahl zu vermeiden.[13] Mehrere EU-Länder richteten eigene Krisenstäbe und Kontroll-Zentren ein, um das Risiko von Desinformation zu mindern.[14] Das zeigt, dass die Faktenchecker nicht im luftleeren Raum arbeiten – genau wie die Plattformen orientierten sich an politischen Vorgaben auf nationaler und europäischer Ebene. Das „Ökosystem“, das sich um den DSA entwickelt hatte, bekam aus Anlass der Europawahl ein bedeutendes Update.
Wie die Arbeit der Faktenchecker organisiert und finanziert wurde, lässt sich auch ein Jahr nach der Wahl schwer sagen. Die nationalen, transnationalen und europäischen Systeme überlappen sich und bilden ein schwer durch-schaubares Geflecht. So arbeitet die Deutsche Presseagentur mit mehreren europäischen Agenturen im „European Newsroom“ in Brüssel zusammen.[15] Es gibt auch ein deutsch-österreichisches Netzwerk (das German-Austrian Digital Media Observatory GADMO)[16] und die länderübergreifende Google News Initiative.[17] META hatte ein eigenes Elections Operations Center. [18]
Die Finanzierung speiste sich aus diversen Quellen. Allerdings lässt sich kaum sagen, wieviel Geld dezidiert für das Factchecking zur Wahl bereitgestellt wurde. So nennt META die Zahl von 20 Mrd. US-Dollar, die seit 2016 in ein weltweites Team von 40.000 Mitarbeitern geflossen seien – darunter 15.000 „Content Reviewers“ bei Facebook. Die Google News Initiative ist mit 300 Millionen US-Dollar zur Förderung der Nachrichtenbranche ausgestattet. 1,5 Millionen Euro sollen für den Elections24Check geflossen sein.[19] Die EU-Kommission machte keine detaillierten Angaben.
Einige wichtige Hinweise finden sich in einer Darstellung des European Parliamentary Research Service, der auf eine Anfrage der nationalistischen belgischen Partei „Vlaams Belang“ antwortete. Unter dem Titel „EU support to fact checkers“ werden verschiedene Maßnahmen, Netzwerke und Förder-mittel aufgeführt. Auffällig ist, wie breit die Initiativen gestreut sind. So wer-den auch EU-Forschungsprogramme wie Horizon Europe, das Citizens, Equality, Rights and Values Programme (CERV), Erasmus+ und andere er-wähnt. Ein klares Bild ergibt sich aber auch aus dieser Aufstellung nicht.[20]
Insgesamt lässt sich mit Blick auf die Europawahl 2024 von einer strikten Regulierung und engmaschigen Überwachung der Inhalte und Debatten sprechen, die weltweit ihresgleichen sucht. Die Faktenchecker spielten darin eine zentrale, wenn auch letztlich nicht entscheidende Rolle – denn das institutionelle Setting und das offizielle Framing durch das Europaparlament haben dafür gesorgt, die Diskussion rund um die Wahl in „beherrschbaren“ Bahnen zu halten und Desinformation und Manipulation von außen zu erschweren. Gleichwohl zieht die „Community“ eine positive Bilanz:
„The European elections 2024 concluded properly and peacefully. Voter turnout, according to preliminary data, should be around the same percentage as 2019 (the highest since the EU enlargement to 25 members). No major last-minute disinformation-related incidents have been detected, according to the monitoring carried out by the EDMO Taskforce On 2024 European Elections. This result should be seen as a source of pride for the whole European society and in particular for the community that monitors and counters disinformation.“[21]
[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_24_3124
[2] ebd.
[3] https://edmo.eu/thematic-areas/elections/european-elections/edmo-taskforce-on-2024-european-elections/
[4] The European Digital Media Observatory’s Task Force on the 2024 European Parliament Elections – Final Report https://edmo.eu/wp-content/uploads/2024/07/Final-Report-–-EDMO-TF-EU24.pdf
[5] Auftritt beim 24. Brüsseler Mediengespräch am 14.10.24 https://www.mainzer-medieninstitut.de/rueckblick-24-bruesseler-mediengespraech-was-sind-die-lehren-aus-der-europawahl-2024
[6] Siehe dazu meinen Report im Cicero am 15.04.2024: Keine Wahl https://www.cicero.de/aussenpolitik/europaische-union-keine-wahl
[7] Siehe meinen Beitrag in der taz am 30.04.2024: „Es lebe die Demokratie“ https://taz.de/Wahlkampfauftakt-zur-EU-Wahl/!6005005
[8] Ein Faktencheck der Deutschen Welle zu diesem Thema findet sich hier: https://www.dw.com/en/fact-check-eu-elections-and-fake-news-about-ballot-fraud/a-69305950
[9] EDMO-Bericht https://edmo.eu/wp-content/uploads/2024/07/Final-Report-–-EDMO-TF-EU24.pdf
[10] Keine neuen Informationen: Aussage von tschechischem Geheimdienst falsch wiedergegeben https://dpa-factchecking.com/germany/240424-99-795028
[11] https://www.techpolicy.press/what-we-learned-running-the-biggest-election-related-fact-checking-database-in-europe
[12] https://elections24.efcsn.com/about-us
[13] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_24_1707
[14] So z.B. Belgien, mehr dazu hier https://crisiscenter.be/en/risks-belgium/security-risks/disinformation/disinformation-and-interference-during-elections
[15] https://europeannewsroom.com/about/the-project
[16] https://www.afp.com/de/die-agentur/unsere-nachrichten/pressemitteilungen/kampf-gegen-desinformation-das-german-austrian
[17] Mehr zu Google News hier https://blog.google/around-the-globe/google-europe/supporting-elections-for-european-parliament-2024 sowie im Time Magazine https://time.com/6970488/google-jigsaw-eu-elections-misinformation-prebunking/
[18] https://about.fb.com/news/2024/02/how-meta-is-preparing-for-the-eus-2024-parliament-elections
[19] https://blog.google/around-the-globe/google-europe/fighting-misinformation-online-elections
Siehe auch den Bericht bei Euronews https://www.euronews.com/next/2024/03/21/google-joins-forces-with-european-fact-checkers-ahead-of-eu-elections
[20] European Parliamentary Research Service : EU support to fact checkers https://www.vlaamsbelang.org/sites/default/files/2025-03/EPRS_119124-EU_support_to_fact_checkers_0.pdf
[21] FINAL REMARKS, BY TOMMASO CANETTA https://edmo.eu/wp-content/uploads/2024/07/Final-Report-–-EDMO-TF-EU24.pdf