Rezension: Causa Mercedes-Benz

Das Buch von Gaby Weber hats in sich. Einmal zeigt es auf, was Machtgefälle mit den Menschen machen – hier am Beispiel der vertuschten, verschwiegenen und schließlich nicht aufgearbeiteten Verbrechen an Betriebsräten von Mercedes Benz Argentina (MBA). Die Journalistin Gaby Weber hat den Fall über 25 Jahre hinweg verfolgt und stellt in Ihrer Dokumentation, die nach Jahren geordnet ist, den Verlauf der (Nicht-)Strafverfolgung nach. Dabei gab es Momente der Aufklärung und Aussicht auf Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen der verschwundenen Mercedes-Mitarbeiter; diese waren jedoch je nach politischem Wind gerade opportun oder eben nicht mehr opportun und versandeten in den Mühlen der Justiz zwischen den Staaten Argentinien, Deutschland und den USA. Nicht, dass die Sachverhalte nicht geklärt worden wären und die gehen weit über Entführungen und Morde hinaus, Zeugenaussagen und Dokumente sind vorhanden. In investigativer Recherche hat die Autorin des Buches alles Relevante zusammengetragen, das verfügbar war bzw. wozu man ihr Zugang gewährte. Sie trat als Expertin in einigen Verfahren als Nebenklägerin auf und fand heraus, dass auch Kindsraub im Kontext der Konzern- wie Diktaturerfahrung im Land als Straftaten vorliegen.

Für Medieninteressierte bietet das Buch Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen von Recherche. Der öffentlich-rechtliche WDR macht keine gute Figur in dem Kontext, denn nach Jahren der Zusammenarbeit bestand plötzlich kein Interesse mehr an den Recherchen Webers zu MBA. Ein deutsches Unternehmen im Ausland, das Menschenrechtsverbrechen begann? Eigentlich eine klassische Aufgabe für Medien als Vierte Gewalt als Kontrollinstanz von Macht – politischer wie unternehmerischer. Aber, anscheinend sehen sich einige Etablierte in den Medien (auch im nicht unternehmerisch tätigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk) – also angestellte Redakteure mit sicheren Verträgen, Hierarchen wie Intendanten mit Pensionsansprüchen etc. – nicht mehr als Stachel im Fleisch von Regierung und Konzernen, von Korruption und Verbrechensvertuschung, sondern eher als Teil der Machteliten. Statt die fundierten Recherchen der bekannten Journalistin abzunehmen, beauftragte man eine Werbefilmfirma, die aus dem Dunstkreis von MBA selbst stammte, mit einem Filmbeitrag der sanfteren Art. Das brisantere Original ist auf der Website der Buchautorin abrufbar und ein Muss, wie auch das Buch, das nochmal interessante Details auch zu den jeweilig relevanten politischen Hintergründen in den einzelnen betroffenen Ländern bereithält und so das Verlaufen im Sande gut einordnet. Kleinere Fehler, wie etwa die Datierung des Beginns des Irakkriegs 2003 auf den 24. statt 20. März, mag man da verzeihen – sollten aber natürlich in einer zweiten Auflage korrigiert werden. Und eine zweite Auflage verdient das Buch auf jeden Fall, wie Sie bei der Lektüre dieses Recherche-Krimis schnell erkennen werden.

Mehr auf der Website von Gaby Weber: www.gabyweber.com/index.php/de/57-wunder-gibt-es-nicht-die-verschwundenen-von-mercedes-benz

Zum Film:

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