Fact Checking in the EU (Teil 3)

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von Eric Bonse, Brüssel

Die aktuelle Debatte in Brüssel

Die Faktenchecker waren nach der Europawahl mit ihrer Arbeit zufrieden, auch von EU-Seite kamen positive Rückmeldungen. Doch obwohl es beim großen EU-weiten „Stresstest“ 2024 keine größeren Zwischenfälle gegeben hatte und die Wahl zu keiner Zeit von innen oder von außen ernsthaft bedroht war, reißt die Debatte über Desinformation und mögliche Einmischung und Manipulation in Europa nicht ab.

Während die einen fordern, Online-Inhalte noch stärker zu kontrollieren, warnen andere vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit und Schaden für die Demokratie. Seit dem US-Wahlkampf hat sich diese Kontroverse deutlich zugespitzt. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten hat dazu geführt, dass große Plattformen wie Facebook dem Fact Checking den Rücken kehren und die Community unter Rechtfertigungsdruck geraten ist.

Bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2025 kritisierte US-Vizepräsident J.D. Vance die EU ungewöhnlich hart. “Die Redefreiheit ist in Europa auf dem Rückzug”, sagte Vance. Er bemängelte, dass bestimmte Meinungsäußerungen als Desinformation verfolgt würden. Die Gefahr für die Demokratie in Europa gehe nicht so sehr von außen aus (gemeint ist wohl Russland, die Red.), sondern komme vor allem aus dem Innern.

“Ich bin wegen der Gefahr von innen besorgt, dass sich Europa von einigen der grundlegenden Werte zurückziehen könnte, von Werten, die mit den USA geteilt werden”, sagte Vance, und: “Wir müssen mehr tun, als über demokratische Werte zu reden, wir müssen sie leben.“ Dazu gehöre auch, auf die Stimme des Volkes zu hören. Ohne die AfD beim Namen zu nennen, fügte Vance hinzu: “Es gibt keinen Platz für Brandmauern.”[1]

Die Rede wurde als frontaler Angriff auf die europäische Politik gewertet. Zu Recht – denn Vance stellt nicht nur den DSA und darin verankerten Kampf gegen Desinformation infrage, sondern auch das Demokratieverständnis der EU. Seit Vance’s Auftritt in München liegen in Brüssel die Nerven blank. Über grundlegende Fragen ist kaum noch eine sachliche Debatte möglich; Redefreiheit und Desinformation sind zu Kampfbegriffen geworden.

Das hindert die EU jedoch nicht daran, ihre Politik fortzuschreiben und dabei auch die Rolle der Faktenchecker weiter zu entwickeln. Dies soll im Folgenden an fünf aktuellen Beispielen geschildert werden. Sie sind chronologisch geordnet und bilden die wichtigsten europapolitischen Debatten in Brüssel aus einer journalistischen Beobachter-Perspektive ab. Den Ausgangspunkt bildet wiederum die Europawahl 2024.

  1. Von der Leyen und der „Demokratieschild“ – Faktenchecks als Teil der Außenpolitik?

The European information space must be kept clean and monitored all the time and there is still a lot to do to ensure one of democracys cornerstones, the peoples fundamental right to be correctly informed. Winning an important battle against disinformation, only to lose the attrition war would be unforgivably short-sighted.[2]

Man habe eine „wichtige Schlacht“ gegen Desinformation gewonnen, schrieb der Faktenchecker-Verband EDMO nach der Europawahl. Doch nun gehe es darum, eine Niederlage im „Abnutzungskrieg“ zu verhindern, hieß es unter Anspielung auf Russlands Krieg in der Ukraine. Die Europawahl stellte aus dieser Sicht nur einen Testlauf für eine größere, dauernde Mission dar.

Diese Auffassung wird auch in der EU-Kommission vertreten. Obwohl es bei der Europawahl keine größeren Probleme gab, wird Desinformation in Brüssel zunehmend als Gefahr für die Demokratie betrachtet. Und obwohl die EU für nationale Wahlen und Medien a priori gar nicht zuständig ist, will sie auch dort eingreifen – mit dem sogenannten „Demokratieschild“.

Aus der im Frühjahr 2025 veröffentlichten Ausschreibung der Kommission[3] geht hervor, dass es bei dieser Initiative um vier große Themen gehen soll:

  • Bekämpfung von Desinformation und ausländischer Informationsmanipulation und Einmischung (FIMI),
  • Fairness und Integrität von Wahlprozessen inkl. freier, pluralistischer und unabhängiger Medien
  • gesellschaftliche Resilienz (inkl. digitaler und medialer Kompetenz, kritischem Denken, Unterstützung der Zivilgesellschaft usw.),
  • Bürger-Beteiligung und Engagement.

Ihren Vorschlag zum „Democracy Shield“ will die Kommission im Herbst 2025 vorlegen. Welche Auswirkungen dies auf die Arbeit der Faktenchecker haben wird, lässt sich noch nicht absehen, da die Details noch offen sind.[4] Bemerkenswert ist, dass Desinformation explizit in Zusammenhang mit „ausländischer Informationsmanipulation“ und Einmischung gebracht wird.

Damit schreibt sich der Kampf gegen Desinformation in eine seit längerem verfolgte Strategie des Auswärtigen Dienstes der EU ein. Diese soll „strategische, koordinierte und vor allem absichtliche Manipulation“ durch ausländische Akteure – so die Definition von FIMI – abwehren helfen.[5] Die Faktenchecker würden damit für außenpolitische Zwecke eingespannt.

Wie dies aussehen kann, hat die Präsidentschaftswahl in Rumänien gezeigt.

  • Die Wahl in Rumänien – TikTok und die „russische Manipulation“

Die Präsidentschaftswahl in Rumänien gilt als Paradebeispiel für „russische Einmischung“. Im ersten Wahlgang im Dezember 2024 hatte der rechtsextreme Kandidat Calin Georgescu von einer Kampagne auf dem Videodienst TikTok profitiert. Die EU-Kommission startete daraufhin eine Untersuchung gegen TikTok, die Wahl wurde annulliert und Georgescu durfte nicht erneut antreten. Allerdings konnte nicht nachgewiesen werden, dass hinter der „Manipulation“ tatsächlich russische Akteure steckten. Es gab auch Hinweise auf eine fehlgeleitete Aktion der “National Liberal Party” PNL.[6]

Dennoch wird die These der „russischen Manipulation“ in Brüssel weiter vertreten. Zugleich verbreitete sich auf Online-Medien die Behauptung, hinter der Annullierung der Wahlen stecke die EU. Diese und andere Behauptungen wurden dann zum Gegenstand von Faktenchecks. Romanias election authority, not EU, barred Georgescu from election re-run, hieß es etwa bei Reuters.[7] Auch Georgescus Nachfolger George Simion wurde einer eingehenden Prüfung unterzogen. EDMO veröffentlichte einen Report zur Wahl in Rumänien, in dem Simion falsche Aussagen vorgeworfen werden.[8]

Diese Beispiele zeigen, dass Faktenchecker dazu neigen, die Politik der EU zu verteidigen, Kritiker der EU hingegen aufs Korn zu nehmen. Dabei werden sie offensichtlich von der EU-Kommission und vom Europaparlament unterstützt. Die sozialdemokratische S&D-Fraktion veröffentlichte eine Pressemitteilung unter dem Titel „Foreign interference and disinformation: what happened in Romanias elections is a wake-up call for all of us!“ Darin fordern die Abgeordneten, den DSA noch konsequenter als bisher durchzusetzen und insbesondere stärker gegen TikTok vorzugehen.[9]

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Wahl in Rumänien auch künftig eine wichtige Rolle in der EU-Debatte spielen wird – etwa, wenn es darum geht, den „Demokratieschild“ zu begründen, oder die Arbeit der Faktenchecker zu unterstützen. Dass sich am Ende mit Nicusor Dan ein EU-freundlicher Politiker durchgesetzt hat, dürfte daran nichts ändern, im Gegenteil: Rumänien liefert aus Sicht der EU-Institutionen neue Argumente dafür, dass der Kampf gegen Desinformation und Einmischung verstärkt werden müsse. Die Anhänger einer strikten Regulierung sehen sich bestätigt.

Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Wahl in Rumänien auch ernste Fragen nach der Rolle der EU und einiger Mitgliedsländer aufwirft. So hat sich Frankreich für eine Annullierung der Präsidentschaftswahl und für den Erfolg des Pro-Europäers Dan eingesetzt. Nach Angaben von Telegram habe Paris dabei auch geheimdienstliche Mittel eingesetzt.[10] Diese Art der Einmischung aus der Mitte der EU wurde von Brüssel jedoch nicht moniert.

3. Die Bundestagswahl – falsche Wahlversprechen kein Thema?

Einen weiteren„Stresstest“ für den DSA und das „Ökosystem“ der Faktenchecker stellte die vorgezogene Bundestagswahl im März 2025 dar. Das auf investigative Recherchen und Faktenchecks spezialisierte deutsche Medienhaus CORRECTIV machte im Januar 2025 eine mutmaßlich russische Einflussoperation mit dem Spitznamen „Storm-1516“ aus. Sie versuche seit drei Monaten, in den Wahlkampf einzugreifen.[11] EDMO und das European Policy Centre EPC griffen die Recherche auf; sogar das französische Verteidigungsministerium veröffentlichte einen Bericht.[12]

Allerdings spielte diese angebliche russische Operation dann de facto keine Rolle im Wahlkampf. Die von Correctiv zitierten deutschen Spitzenpolitiker haben offenbar keinen Schaden gelitten, „Storm-1516“ blieb ein Thema für

Experten. Ein Faktencheck der „Deutschen Welle“ kam zu dem Ergebnis, dass eine Gefahr weniger in Desinformationen zur Bundestagswahl liege, sondern vielmehr in der langfristigen Strategie Russlands. “Die Themen, die Narrative, die der Kreml seit Jahren besetzen will, sind auch in der deutschen öffentlichen Debatte sehr dominant geworden”, wird ein Experte zitiert.[13]

Wesentlich weniger Raum als vermutete russische Kampagnen nahm die Prüfung möglicher Falschaussagen der deutschen Bundestagskandidaten ein. Dies ist in der Regel auch kein Job der Faktenchecker – ein wichtiger Teil des Wahlkampfes ist es ja gerade, politische Aussagen zu machen und Aussagen des Gegners zu widerlegen. Dennoch ist es in diesem Fall bemerkenswert – denn CDU-Chef Friedrich Merz hat im Wahlkampf wiederholt versprochen, die deutsche Schuldenbremse einzuhalten und keine neuen, schuldenfinanzierten Sondervermögen aufzulegen.

Dieses Versprechen hat er noch vor seiner Wahl zum Kanzler gebrochen.

Ein klarer Fall für die Faktenchecker, sollte man meinen. Denn sofort stand der Vorwurf des Wahlbetrugs im Raum. Zudem begründete Merz seinen Sinneswandel mit einer angeblichen sicherheitspolitischen Notlage in Deutschland und Europa, die eine faktische Überprüfung durchaus verdient hätte. Doch die meisten Experten sahen hier keinen Grund zum Einschreiten.

Zwar fragte der MDR in einem Podcast-Faktencheck: „Hat Merz bei der Schuldenbremse Wähler getäuscht?“[14] Eine Falschinformation wurde in diesem politisch brisanten Fall jedoch nicht konstatiert. „Falsche Wahlversprechen sind keine Wählertäuschung nach Strafgesetz“, konstatierte Correctiv.[15] Damit war der Fall für die meisten Faktenchecker erledigt.

Auch die Behauptungen zur neuen Sicherheitslage wurden nicht überprüft, obwohl sie von grundlegender Bedeutung für die deutsche und europäische Sicherheitspolitik sind. Dies mag damit zusammenhängen, dass Merz seinen Kurs mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen abgestimmt hat. Europa sei mit einer „klaren und gegenwärtigen Gefahr“ konfrontiert, wie sie „keiner von uns in seinem Leben gesehen hat“, betonte von der Leyen in einem Schreiben vor dem EU-Gipfel im März 2025 – Merz schloß sich dem an.[16]

Auch dieses Beispiel zeigt, dass von der EU geschaffene Fakten, aber auch umstrittene Tatsachenbehauptungen aus Brüssel, kaum je einem Fakten-check unterworfen werden. Auch falsche Wahlversprechen sind kein großes Thema – jedenfalls so lange nicht, wie sie von EU-freundlichen Politikern wie Merz gemacht werden. Die Faktenchecker werden erst dann aktiv, wenn sie falsche Behauptungen von EU-Kritikern oder Gegnern finden – oder wenn sie Kampagnen aus Russland oder anderen „feindlichen“ Ländern wittern. Wel-che Länder „feindlich“ sind, bestimmt in der Regel wiederum die EU.

4. Der Streit mit der Trump-Administration – die EU zögert

Die USA gehörten bisher nicht zu den Ländern, die ins Visier der europäischen Faktenchecker geraten sind. Solange die US-Administration und die EU-Kommission beim Thema Desinformation an einem Strang zogen und eine transatlantische Community der Fact Checker vertrauensvoll zusammenarbeitete, gab es keinen Bedarf für die Moderation von US-Content. Doch mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump Anfang 2025 hat sich dies spürbar verändert. Seither driften Brüssel und Washington in der Medien- und der Digitalpolitik mehr und mehr auseinander.

Der Bruch begann schon vor dem Machtwechsel in Washington. Erst pro-vozierte Elon Musk mit Wahlwerbung für die AfD auf seinem Onlineportal „X“. Dann warf Meta-Chef Mark Zuckerberg der EU „Zensur“ vor. In Europa gebe es “immer mehr Gesetze, die die Zensur institutionalisieren und es schwierig machen, dort etwas Innovatives zu entwickeln”, kritisierte Zuckerberg. – “Wir weisen jede Behauptung einer Zensur entschieden zurück“, konterte die EU-Kommission. Man greife nicht in die Inhalte ein, sondern stelle lediglich sicher, dass kein „illegaler oder schädlicher Content“ verbreitet werde.[17]

Doch anders als noch im Herbst 2024, als der frühere EU-Kommissar Thierry Breton direkt auf Musk und Zuckerberg reagierte und mit Sanktionen drohte, hielt sich die neue EU-Kommission zurück. Sie beklagte weder die offen-sichtliche Einmischung auf „X“ in den deutschen Wahlkampf, noch rügte sie Facebook für den Abschied vom Fact Checking für amerikanische User – obwohl dieser auch Folgen für die EU haben dürfte. In Brüssel gewannen viele Beobachter den Eindruck, dass sich von der Leyen nicht gleich zu Beginn mit Trump und seinen mächtigen „Tech-Brothers“ anlegen wollte.

Verstärkt wird dieser Eindruck durch die auffällige Zurückhaltung, wenn es um EU-Verfahren gegen die amerikanischen Tech-Konzerne geht. „EU-Kommission soll bei der Durchsetzung von Plattformregeln zögern“, schrieb „Netzpolitik“ unter Bezugnahme auf entsprechende Berichte in „Le Monde“ und der „Financial Times“.[18] Zuvor hatte die Trump-Administration den Vorwurf erhoben, die EU ziele mit ihren Internet-Gesetzen DSA und DMA vor allem auf US-amerikanische Plattformen und Suchmaschinen. Trump hat zudem versucht, das DSA in den Zollstreit mit der EU zu ziehen.

Die EU-Kommission weist diesen Versuch zurück – versucht jedoch auch, eine Eskalation im Zoll- und Handelsstreit zu vermeiden. Argumentative Rückendeckung erhält sie wiederum von europäischen und deutschen Faktencheckern. „Was ist dran an Trumps Aussagen zum Handel?“, fragte die Tagesschau im ARD-Faktencheck.[19] Andere Medien untersuchten die „falschen Zahlen“, die hinter Trumps Zöllen stecken[20], und überprüften die Bilanz des US-Präsidenten nach 100 Tagen im Amt. „Trump lügt und lügt und lügt – 100 Mal in 100 Tagen“, schrieb der „Tagesspiegel“.[21]

Unter Trumps Amtsvorgänger Joe Biden wäre ein so hartes Urteil undenkbar gewesen. Die Faktenchecker nahmen Biden in Schutz; sogar Kritik an unübersehbaren Symptomen seiner Altersschwäche wurde einer „Korrektur“ unterzogen. So brachte „Euronews“ noch im Juni 2024 einen Faktencheck über „Falschbehauptungen zu Bidens geistiger Gesundheit“.[22] Auch die Tagesschau befasste sich mit dem Thema. Bidens Gesundheit sei zur „Zielscheibe“ geworden, schrieb der prominente „ARD-Faktenfinder“ Pascal Siggelkow .[23] Viele Videos seien „verkürzt“ oder ließen „wichtige“ Details aus.

Kurz darauf verzichtete der EU-freundliche US-Präsident auf eine zweite Amtszeit – aus gesundheitlichen Gründen. Die Faktenchecker sahen dennoch keinen Grund, ihre offenbar falschen Analysen zu korrigieren.

5. Die Debatte in der Community – Eine Konferenz in Brüssel

Die Attacken aus den USA gegen den DSA und die Arbeit der Faktenchecker haben die europäische Community verärgert, aber nicht zum Umdenken bewegt. Dies haben mehrere Fachkonferenzen in Brüssel gezeigt. Größte Beachtung fand der zweitägige Event “Democracy Matters – Facts Matter” im März 2025 im Europaparlament, der gemeinsam vom Parlament, dem EFCSN und EDMO durchgeführt wurde. Die Arbeitshypothese war, dass Fact Checking eine zentrale Rolle bei der Verteidigung der Demokratie einnehme.

So erklärte die Vorsitzende des EFCSN Clara Jiménez Cruz[24]: “We meet at a crucial time a time when the role of fact-checkers has never been more vital, and yet, perhaps, never more challenging. [] This is a challenge not just for us gathered here today but for European societies as a whole. Because the work you do is not optional. It is a cornerstone of democratic resilience.Faktenchecker seien mehr als „nur“ Journalisten: „Fact-checkers have become the frontline defenders against disinformation campaigns.”

Dies ist eine überraschende Rollenbeschreibung. Traditionell sehen sich Journalisten als Teil einer vierten Gewalt, die staatlichen Akteuren auf die Finger schaut. Bei der Konferenz in Brüssel standen sie aber nicht dem Staat und seinen Weiterungen wie der EU kritisch gegenüber, sondern kämpften an einer neuen Front, an der ausländische Akteure (gemeint ist vor allem Russland) bösartige Desinformations-Kampagnen gegen die EU und die Demokratie lancieren: Der Journalist als Verteidiger der inneren Ordnung.

Unterstrichen wird dieses problematische Rollenverständnis durch die Reden der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und der EU-Kommissarin Henna Virkkunen, die für „technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie“ zuständig ist. By separating fact from fiction, by exposing lies and calling out manipulation, you are standing up for democracy itself“, erklärte Metsola. “Your work is vital for defending our democracy in the European Union and I count on your continued support in the future, sagte Virkkunen.

Fact-checking is not censorship, betonte sie. Es gehe nicht um Zensur, sondern um das Recht auf eine verlässliche und faktentreue Information. Rückendeckung bekam sie von der Europaabgeordneten Christel Schaldemose, die die parlamentarische Arbeitsgruppe für die Umsetzung des DSA leitet. “To say that the DSA is against freedom of speech is simply rubbish. On the contrary, we have never had so many people online and the DSA is not narrowing that.DieKritik entbehre jeder Grundlage.

Dies ist bis heute die vorherrschende Meinung in Brüssel. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Zensur findet nicht statt. Man kümmere sich nicht um die Inhalte, sondern lediglich um die Regeln, heißt es in der EU-Kommission. Wo es – wie bei den Faktencheckern – um Inhalte gehe, würden sie richtig gestellt, aber nicht gelöscht („zensiert“). Damit trage die Community nicht nur zu einer gut informierten Öffentlichkeit bei, sondern leiste auch einen wertvollen Dienst an der wehrhaften Demokratie.

Die Faktenchecker sehen dies ähnlich – sie glauben an ihre aufklärerische und zutiefst demokratische Mission. Dass sie dabei eng mit der EU und ihren demokratisch schwach legitimierten Organen zusammenarbeiten, wird nicht infrage gestellt. Auch die ihrer Arbeit zugrunde liegenden Konzepte – systemische Risiken, Desinformation und Manipulation – werden von der Community kaum problematisiert. Die Konferenz in Brüssel war insofern keine Ausnahme; sie diente der Selbstvergewisserung, nicht der Selbstkritik.

Zusammenfassung und Ausblick

Diese Studie hat gezeigt, dass Faktenchecker kein vorübergehendes Phänomen sind, sondern eine wichtige Rolle im neuen „Ökosystem“ der europäischen Medien- und Digitalpolitik spielen. Sie werden von der EU und nationalen Regierungen finanziell und organisatorisch gefördert und folgen thematisch weitgehend der offiziellen Politik in Brüssel, Paris oder Berlin.

Russische Desinformation bzw. Manipulation wird von der Community mit großen Aufwand bekämpft, rechte und EU-feindliche Narrative werden aktiv offengelegt. Demgegenüber werden pro-europäische Diskurse und EU-freundliche Politiker selten auf den Prüfstand gestellt. Bei der Europawahl 2024 habe ich kein Beispiel für EU-kritische Faktenchecks finden können.

Offenbar pflegen die Faktenchecker ein besonderes Rollenverständnis. Selbst investigative Journalisten sehen sich nicht oder nicht primär als Teil einer vierten Gewalt, die der EU und ihren Mitgliedstaaten den Spiegel vorhalten will. Vielmehr kämpfen sie gegen ausländische Akteure in den digitalen Diensten, die sie im Namen des DSA auf Risiken abchecken.

Dass die ausländischen Akteure vorwiegend in Russland verortet werden und die Plattformen und Suchmaschinen überwiegend aus den USA kommen, verwickelt die EU und die ihr verbundenen Journalisten in einen Konflikt an zwei Fronten, der nicht leicht zu führen und kaum zu lösen ist. Dies zeigt auch die Diskussion, die seit der Europawahl in Brüssel geführt wird.

Angesichts massiver Kritik aus den USA reagiert die EU widersprüchlich. Einerseits tritt die EU-Kommission defensiv auf: Die Vorwürfe aus Washington seien unbegründet, von Zensur könne keine Rede sein, heißt es abwehrend in Brüssel. Andererseits gibt sich die EU-Behörde offensiv – man müsse noch viel mehr tun und „proaktiv“ in den Diskurs eingreifen.

Da dies auch von den Verbänden der Faktenchecker befürwortet wird, ist zu erwarten, dass das „Ökosystem“ rund um den DSA weiter ausgebaut und die Kontrolle der Inhalte verstärkt wird. Der Vorstoß für ein „Demokratieschild“ zeigt, wohin die Reise geht. Es geht nicht mehr nur um die Korrektur von Fakes im Internet, sondern den Schutz von Wahlen, ja der Demokratie.[25]

Aufgewertet wird die europäische Faktenchecker-Gemeinde auch durch die geplante Aufnahme des  Code of Practice on Disinformationin den DSA-Rahmen, die im Juli 2024 geplant ist. Der Code wird damit zu einem „Code of Conduct“ hochgestuft.[26] Er  wurde bereits von 48 Organisationen und Unternehmen unterzeichnet, darunter Google, Meta, Microsoft and TikTok.

Allerdings hat Google erklärt, dass es sich nicht am Fact Checking beteiligen will. Das gilt auch für X, das den Code nicht unterschrieben hat: Hier verlässt man sich auf „Community notes“. Die EU-Kommission hat eine Untersuchung gegen X eingeleitet, weil sie an der Effizienz dieser Methode zweifelt.[27] Mit einem Abschluss der Untersuchung wird noch in diesem Jahr gerechnet.

Wenn die Prüfung negativ ausgehen sollte (was zu erwarten ist), würde das Fact Checking zur bislang einzig anerkannten Methode erklärt, die die Vorgaben aus dem DSA erfüllt. Gemeinsam mit der geplanten Aufwertung im „Code of Conduct“ würde diese, wie wir gesehen haben, durchaus problematische publizistische Praxis von offizieller EU-Stelle geadelt.

Umso wichtiger wird es, sich kritisch mit der Arbeit der Faktenchecker auseinander zu setzen. Zu prüfen wäre vor allem die Frage, wie es um die finanzielle und organisatorische Unabhängigkeit bestellt ist. Die EU lässt hier ebenso Transparenz vermissen wie die beteiligten großen Internet-Anbieter und Suchmaschinen, aber auch mitwirkende Medien wie dpa.[28]

Aus journalistischer und medienpolitischer Sicht stellt sich die Frage, wie Meinungsfreiheit und Pluralismus in der EU gesichert werden können. Auch wenn es hier nicht um Zensur im engeren Sinne geht, so stellen die im DSA und in den Verhaltensregeln zur Desinformation verankerten Verfahren doch einen massiven Eingriff in die Arbeit der Medien und die Meinungsfreiheit dar.

Dies ist bedenklich, zumal die EU versucht, ihre Instrumente auf strategische Themen wie die Außenpolitik, das Militär und den Krieg auszurichten und die Aufsicht in Brüssel zu zentralisieren. Die Faktenchecker sollen dabei offenbar die Rolle einer publizistischen Garde spielen. Die Europawahl 2024 war nur die erste Schlacht – die EU rüstet sich für einen langen Krieg.


[1] Zitiert nach der ARD-Tagesschau vom 14.02.2025 https://www.tagesschau.de/ausland/europa/vance-sicherheitskonferenz-102.html

[2] https://edmo.eu/wp-content/uploads/2024/07/Final-Report-–-EDMO-TF-EU24.pdf

[3] Die Konsultation ist abgeschlossen, Angaben zur Beteiligung hier https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/14587/public-consultation_en

[4] Siehe meinen Beitrag im Europe Table vom 29.04.2025 https://table.media/europe/analyse/wahlversprechen-demokratieschild-sucht-daseinsberechtigung/

[5] https://www.eeas.europa.eu/eeas/beyond-disinformation-what-fimi_en

[6] Politico https://www.politico.eu/article/investigation-ties-romanian-liberals-tiktok-campaign-pro-russia-candidate-calin-georgescu

[7] https://www.reuters.com/fact-check/romanias-election-authority-not-eu-barred-georgescu-election-re-run-2025-03-14

[8] https://edmo.eu/edmo-news/romanias-elections-overview-7-may-2025

[9] https://www.socialistsanddemocrats.eu/newsroom/foreign-interference-and-disinformation-what-happened-romanias-elections-wake-call-all-us

[10] https://www.france24.com/en/live-news/20250527-telegram-s-durov-repeats-claim-france-interfered-in-romania-vote

[11] https://correctiv.org/faktencheck/russische-desinformation/2025/01/23/angriff-aus-russland-auf-bundestagswahl-deepfake-ki

[12] https://www.defense.gouv.fr/actualites/storm-1516-dessous-dune-operation-dinfluence-russe

[13] https://www.dw.com/de/faktencheck-russland-bundestagswahl-desinformation-und-fakes-v3/a-71601152

[14] https://www.ardaudiothek.de/episode/podcast-faktencheck-wahrheit-oder-fake-news/hat-merz-bei-der-schuldenbremse-waehler-getaeuscht/mdr-aktuell/14300125

[15] https://correctiv.org/faktencheck/2025/03/20/merz-und-schuldenbremse-falsche-wahlversprechen-sind-keine-waehlertaeuschung-nach-strafgesetz

[16] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/attachment/880628/Letter by President von der Leyen on defence.pdf

[17] Zitiert nach dem WDR: https://www1.wdr.de/nachrichten/meta-zuckerberg-soziale-medien-begriffe-faq-100.html

[18] https://netzpolitik.org/2025/medienberichte-eu-kommission-soll-bei-der-durchsetzung-von-plattformregeln-zoegern

[19] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/trump-wirtschaft-106.html

[20] So der Bayerische Rundfunk https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/faktenfuchs-trumps-falsche-zahlen-zu-zoellen,UhJcpEL

[21] https://www.tagesspiegel.de/internationales/wir-zahlen-alles-sie-zahlen-nichts-trump-lugt-und-lugt-und-lugt–100-mal-in-100-tagen-13556743.html

[22] https://de.euronews.com/my-europe/2024/06/20/faktencheck-falschbehauptungen-zu-bidens-geistiger-gesundheit

[23] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/usa-biden-152.html Siggelkow hat mit seinen kontroversen Faktenchecks wiederholt für Aufsehen gesorgt. In die Schlagzeilen geriet er mit einem Übersetzungsfehler zu den Nord Stream-Gaspipelines. Mehrere Medien warfen ihm schlampige Arbeit vor, siehe z.B. hier https://www.focus.de/kultur/kino_tv/sprengstoff-in-form-von-pflanzen-faktenfinder-der-ard-blamieren-sich-mit-uebersetzungsfehler_id_186730354.html

[24] Zitiert nach dem Konferenzbericht des EFCSN https://efcsn.com/news/2025-03-28_democracy-matters-facts-matter-conference-insights

[25] Die Faktenchecker vom EFCSN greifen die Initiative bereits auf. Demnach sollte sich Brüssel auf die „Information Integrity“ konzentrieren und einen neuen Fonds auflegen, den so genannten Independent Information Integrity Fund (I3F). Damit soll auch die Arbeit der Community auf eine solidere finanzielle Grundlage gestellt werden. https://efcsn.com/news/2025-04-04_efcsn-position-paper-information-integrity-as-a-key-objective-of-the-european-democracy-shield/

[26] Mehr zum Code hier: https://disinfocode.eu/the-code

[27] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_6709

[28] Siehe die Debatte um staatliche Zuschüsse für dpa bei „Meedia“ und im Blog von N. Häring hier https://meedia.de/news/beitrag/17732-debatte-um-staatliche-zuschuesse-dpa-in-der-kritik.html und hier https://norberthaering.de/propaganda-zensur/dpa-staatsgeld


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