Fact Checking in the EU (Teil 1)

von Eric Bonse, Brüssel

EINLEITUNG

Was ist Fakt, was ist Fake? Es gehört zu den selbstverständlichen „Basics“ des Journalismus, Fakten zu checken und Falschmeldungen auszusortieren. Die „alten“, analogen Medien haben dies noch selbst gemacht, mit eigenen Reportern und Journalisten in der Redaktion und bevor ein Stück veröffentlicht wurde. Sie brauchten keine Hilfe von außen und keine Vorgaben aus der Politik.

Doch seit dem Aufstieg „sozialer“ Online-Medien wie Facebook, X und anderer Intermediäre haben sich externe Faktenchecker etabliert, die nach „Fake News“ und Desinformation – also gezielten, in manipulativer Absicht eingesetzten Falschmeldungen – Ausschau halten und versuchen, die Fakten richtig zu stellen und Fehler zu korrigieren.[1]

Ihre Arbeit war von Anfang an umstritten – und das nicht nur wegen der besserwisserischen Attitüde vieler Faktenchecker und manch fragwürdiger Korrektur, die selbst an den Fakten scheitert. Auch das Konzept der Desinformation steht in der Kritik. Die Abgrenzung von Fehlinformation fällt schwer, die Wirkmächtigkeit ist unklar.

So vertritt der Medienrechts-Experte Matthias Cornilsdie Ansicht, dass Desinformation nach dem aktuellen Stand sozialwissenschaftlicher Forschung kaum messbare Auswirkungen habe. Man dürfe die menschliche Reflexionsfähigkeit nicht unterschätzen und Fakes keine allzu große Bedeutung beimessen, warnt Cornils.[2]

Neuerdings sind die Faktenchecker und ihr Kampf gegen Desinformation sogar zum Politikum geworden. Dies liegt vor allem an der Internet-Gesetzgebung der Europäischen Union. Mit dem „Digital Service Act“ (DSA) hat die EU die großen Internet-Plattformen und Suchmaschinen verpflichtet, gegen Fake News und Desinformation vorzugehen.[3]

Falschmeldungen sind zwar nicht verboten; ihre Verbreitung soll jedoch eingedämmt werden. Dies sei auch zum Schutz der Demokratie wichtig, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor der Europawahl 2024. Die Wahl verlief dann zwar ohne nennenswerte Störungen. Die Debatte hat sich dennoch immer weiter aufgeheizt.

Dafür sorgten vor allem US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance. Sie sehen den DSA nicht nur als Angriff auf die amerikanischen Internet-Plattformen. Die neue US-Administration begreift die EU-Regeln auch als „unzulässigen Eingriff in die Meinungsfreiheit“ und als „Gefahr für die Demokratie“.

Für zusätzliche Irritationen in Brüssel sorgte die Ankündigung von Meta-Chef Mark Zuckerberg, das Fact Checking bei Facebook zu beenden. Auch wenn dies zunächst nur in den USA gelten soll, ist es doch ein herber Schlag für die Faktenchecker. Sie haben sich in Netzwerken organisiert und Standards etabliert, die durch den Rückzug gefährdet werden könnten.

Zudem stellt sich die Frage, welche Rückwirkungen die neue US-Politik für die EU haben wird. Könnten Fake News und Desinformationen künftig über amerikanische Plattformen ungeprüft nach Europa gelangen? Wird die Trump-Administration versuchen, am DSA und anderen Digital- und Medien-Gesetzen der EU zu rütteln?

Die Arbeit der Faktenchecker wirft aber auch aus publizistischer Sicht einige schwierige Fragen auf. Wie ist es um die Unabhängigkeit der Journalisten und ihrer Netzwerke bestellt? Wer bestimmt, mit welchen Themen sie sich beschäftigen – und mit welchen nicht? Folgen sie einer politischen Agenda oder einem offiziellen strategischen Framing?

Seit dem Skandal um das internationale Journalistennetzwerk „Organized Crime and Reporting Project“ (OCCRP), dem Abhängigkeit von der US-Regierung vorgeworfen wird, lassen sich diese Fragen nicht mehr vom Tisch wischen. Auch die Journalisten vom deutschen Medienhaus Correctiv sind wegen mutmaßlicher Nähe zum Verfassungsschutz in die Kritik geraten.

Diese Beispiele zeigen, dass es in der Debatte um die Faktenchecker längst nicht mehr bloß um journalistische Standards geht. Es geht um Kernfragen der öffentlichen Willensbildung und der Demokratie. Die einen warnen vor gefährlichen Algorithmen und gezielter Manipulation, die anderen vor einem Ende der Meinungsfreiheit und staatlicher Zensur.

Ich habe in Brüssel recherchiert und Erstaunliches zutage gefördert. So herrscht selbst bei der EU-Kommission ein eklatanter Mangel an Fakten über die Faktenchecker. Auch um die Transparenz und die (finanzielle) Unabhängigkeit ist es schlecht bestellt. Trotz oder gerade wegen dieser Unsicherheiten zeichnen sich weitere politische Eingriffe ab.

So plant die Bundesregierung neue Maßnahmen gegen „Informations-manipulation“. Auch die EU-Kommission will stärker gegen Desinformation vorgehen. Zum Schutz von Wahlen ist ein sogenannter „Demokratieschild“ geplant. Die Pläne sind zwar noch sehr vage. Sie zeigen jedoch, dass die Debatte über Fakten, Fakes und Faktenchecker gerade erst richtig beginnt.

Fact Checking aus Sicht der EU-Kommission

Der Faktencheck (von englisch fact-checking) bezeichnet eine journalistische Tätigkeit, bei der eine unbewiesene oder kontroverse Aussage anhand von allgemein zugänglichen und objektiv nachprüfbaren Fakten überprüft wird. Er beruht auf Recherche und Einordnung bzw. Kontextualisierung. Das Ergebnis wird in der Regel der ursprünglichen Aussage gegenübergestellt, um falsche Informationen zu widerlegen und einen Erkenntnisgewinn zu ermöglichen.[4]

Von dieser redaktionellen Tätigkeit zu unterscheiden sind Faktenchecks, die von staatlichen Organen oder Institutionen wie der EU-Kommission eingesetzt werden. Hier geht es nicht mehr um einzelne Journalisten, die ausgewählte Aussagen prüfen, sondern um ein organisiertes System, das ebenfalls organisierten „Desinformationen“ und „Narrativen“ auf die Spur kommen und sie widerlegen bzw. ihre Wirkung schwächen soll.

Im Kern ist dies keine journalistische Aufgabe, sondern eine publizistische und politische Mission. Mit dem Digital Services Act (DSA) hat diese Mission eine gesetzliche Grundlage bekommen. Die EU will mit dem DSA rechtswidrige oder riskante Inhalte im Internet bekämpfen. Er verpflichtet sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen, gegen „systemische Risiken“ vorzugehen. Dabei können auch Faktenchecker eingesetzt werden.

Zu den „systemischen Risiken“ zählen nach Artikel 34 DSA „alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit“.[5] Aus dieser dehnbaren Formulierung leitet die EU eine Pflicht zur Moderation von Inhalten ab. Vor allem bewußte Falschinformationen und manipulative Wahlkampagnen sollen verhindert werden.

Wie die Moderation erfolgt, wird nicht vorgeschrieben. Die Plattformen hätten mehrere Möglichkeiten und könnten auch innovative Methoden wie die „Community Notes“ (Anmerkungen registrierter User) ausprobieren, heißt es in der EU-Kommission.[6] Die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfern sei aber ein wirksames und bewährtes Mittel zur Minderung systemischer Risiken. Das Fact Checking wird daher auch von der Kommission gefördert.

Über den Umfang der Förderung und die Organisation der Faktenchecker macht die Brüsseler Behörde keine detaillierten Angaben. Sie beschränkt sich auf Ausschreibungen und Pressemitteilungen, in denen über die Tender bzw. ihre Ergebnisse informiert wird. Einen umfassenden Überblick über die Faktenchecker habe man nicht, heißt es auf Nachfrage. Auch über ihre Finanzierung könne man keine Aussagen treffen.

Dies ist bemerkenswert, da Brüssel selbst entscheidend zur Finanzierung beiträgt. So hat die EU-Kommission den Aufbau eines europaweiten Systems der Faktenchecker gefördert[7] und Ende April 2025 erneut eine Ausschreibung im Wert von ca 1,6 Million Euro veröffentlicht.[8] Faktenchecker werden in dieser Ausschreibung als key players of the information value chain bezeichnet. Ihre Aufgabe wird wie folgt beschrieben:

„Verifying and assessing the credibility of content based on facts and evidence and providing citizens with important context and information related to the information they encounter online and offline.“  Weiter heißt es:Fact-checking contributes significantly to identifying and addressing risks such as the spread of disinformation, negative effects on civic discourse, and electoral integrity while fully respecting freedom of expression.

Die EU-Kommission kümmert sich nicht nur um die Finanzierung, sondern auch um die Vernetzung. „Projects should build networks with media outlets, content creators, influencers, and podcasters to create and distribute content“, heißt es in der Ausschreibung.Die Gewinner sollen mit dem „European Digital Media Observatory“ EDMO kooperieren, das wiederum von der EU finanziert wird und mittlerweile in allen EU-Staaten tätig ist.[9]

Hier schließt sich der Kreis: EDMO aims to act as a reference point on data and policies on disinformation, public trust, media literacy and quality information.Der Verband übernimmt also genau jene Tätigkeiten, für die die EU-Kommission externe Unterstützer sucht. Die derzeit 14 regionalen „Hubs“ verfügten nach eigenen Angaben im Frühjahr 2024 über 91 „verification tools“ und mehr als 14.500 Veröffentlichungen.

Wie viele Faktenchecker insgesamt mitwirken, legt EDMO jedoch ebenso wenig offen wie das „European Fact-Checking Standards NetworkEFCSN, das ebenfalls eng mit der EU zusammenarbeitet. Dieses Netzwerk, dem auch die Deutsche Presseagentur dpa und das Medienhaus Correctiv angehören, besteht aus 61 Mitgliedsorganisationen in 31 Ländern Europas (Stand Mai 2025).[10] Die Zahl der Mitarbeiter sucht man auch hier vergebens.

Die EU-Kommission stellt EDMO und EFCSN heraus, liefert allerdings keine Details. Auch die Ziele der Zusammenarbeit bleiben im Ungefähren. In einer Übersicht heißt es lediglich: „Die geförderten Projekte tragen zu den gesamtgesellschaftlichen Bemühungen bei, Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland zu bekämpfen, Medienkompetenz zu stärken und die Freiheit und den Pluralismus der Medien zu schützen.“[11]

Mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar Zensur habe dies nichts zu tun, betonen die Verantwortlichen in Brüssel. Aufgabe der Faktenchecker sei es schließlich nicht, Inhalte zu entfernen, sondern die Fakten zu überprüfen und gegebenenfalls richtig zu stellen. So soll die Verbreitung von „riskanten“ bzw. „nachteiligen“ Inhalten erschwert werden. Dabei werde strikt zwischen legalem und illegalem Content unterschieden.

Während Hassrede aus EU-Sicht illegal ist und schnellstmöglich entfernt werden muß, sind Fake News und Desinformation in den meisten Mitgliedsländern (noch) nicht verboten. Allerdings sind die Grenzen fließend. Für Hassrede sind „Trusted Flagger“ zuständig, für Desinformation die „Fact Checker“. Beide Gruppen arbeiten mit den großen Plattformen zusammen, wobei sie sich auf mehr oder weniger freiwillige Verhaltensregeln stützen.

Wie dies in der Praxis aussieht, habe ich am Beispiel der Europawahl 2024 untersucht.


[1] Der Begriff „Desinformation“ ist nicht klar definiert. Wir lehnen uns an die Definition der Neuen deutschen Medienmacher an. https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/desinformation (vgl. eigene Recherche: https://medien-meinungen.de/2021/10/wie-eu-und-nato-gegen-desinformation-vorgehen)

[2] Vortrag beim 24. Brüsseler Mediengespräch am 14.10.24 https://www.mainzer-medieninstitut.de/rueckblick-24-bruesseler-mediengespraech-was-sind-die-lehren-aus-der-europawahl-2024

[3] Vgl. https://medien-meinungen.de/2024/04/big-brother-aus-bruessel  

4] Mehr dazu im Diskursmonitor https://diskursmonitor.de/glossar/fact-checking

[5] https://eu-digitalstrategie.de/kapitel-3-dsa/art-34-dsa-risikobewertung

[6] Eigene Recherche bei der EU-Kommission in Brüssel im Februar und März 2025

[7] https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/european-digital-media-observatory-project-kicks

[8] https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/funding/boosting-visibility-fact-checking-content-europe

[9] https://edmo.eu/edmo-news/the-edmo-network-expands-to-all-eu-member-states-through-six-new-hubs

[10] https://members.efcsn.com/signatories

[11] https://commission.europa.eu/topics/countering-information-manipulation/cooperating-fact-checkers-civil-society-media-and-academia_de

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