Der folgende Text stellt die überarbeitete Fassung eines Vortragsmanuskripts von Prof. Sabine Schiffer dar, den sie bei der Jüdischen Gemeinde in Marburg am 4.12.2018 gehalten hat und der erstmalig im “Journalist” erschienen ist.
„Reden wir nicht nur, handeln wir lieber…“ Ein Satz wie dieser bezeugt, dass der Handlungscharakter von Sprache allgemein unterschätzt wird. Dabei kann man spüren, wie Schimpfworte und andere sprachliche Bösartigkeiten verletzen. Dass jedoch Sprechen Handeln ist, und was man mit sprachlichen und anderen Zeichen bewirken kann, ist spätestens seit dem Aufkommen der Sprechakttheorie von John Austin in Fachkreisen anerkannt.
Besonders die Zeichenlehre der Semiotik nach Charles Sanders Peirce bietet erhellende Erkenntnisse über die Natur und Wirkmacht von Zeichen und Symbolen. Sprachliche und bildliche Zeichen steuern Aufmerksamkeit. Mit Zeichen lässt sich lenken und zwar bewusst oder unbewusst. Lenken durch Sprache ist also in jedem Fall Manipulation – aber zunächst im neutralen Sinne von Veränderung. Eine absichtliche Manipulation setzt Intention voraus, also Absicht und Bewusstsein. So wie ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit auf ein paar Aspekte der Thematik lenke und damit gleichzeitig von anderen ablenke, denn die Sache ist komplex, liegt stets Aufmerksamkeitssteuerung durch Sprache vor. Insofern möchte ich Sie nicht manipulieren (im üblichen negativen Sinne), warne Sie deshalb davor und fordere Sie auf, stets kritisch mitzudenken, die Dinge zu hinterfragen und zu überprüfen.
Zum Einstieg ein kleiner Versuch mit Sprache: Fordere ich Sie mit George Lakoff und seinem gleichlautenden Buchtitel nun auf „Denken Sie nicht an einen Elefanten!“, dann lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Vorstellung eines Elefanten. Oder, wer hat jetzt nicht an einen solchen gedacht? Auch, wenn ich diese Aufforderung „daran NICHT zu denken“ explizit verneine, ist es Ihnen vermutlich nicht gelungen, es nicht zu tun. Denn unser Unterbewusstsein erkennt Verneinung nicht. Alles Verneinte, jedes Dementi, wirkt wie eine Wiederholung. Und hierin liegt ein Dilemma für aufklärende Diskurse, die einen Missstand anprangern und den Sachverhalt klären wollen, dass sie kaum der Sprachlogik entgehen, dadurch den Missstand zu wiederholen und gewissermaßen auch dadurch dazu beitragen ihn zu normalisieren. Dazu weiter unten mehr.
Halten wir bis hierhin fest: Egal, wie man sich zu einem Sachverhalt äußert, allein dadurch, dass man von etwas spricht, lenkt Aufmerksamkeit auf diesen und erklärt ihn damit für relevant. Und irrational, wie wir Menschen nun einmal sind, halten wir Dinge nicht zwingend dann für relevant und erinnern sie besonders, wenn sie geprüfte und wahr sind, sondern wenn sie möglichst oft wiederholt wurden. Es ist so banal, wie effektiv: Wiederholen ist Überzeugen. Es fallen Brandmauern durchs Sprechen darüber. Ein fataler Mechanismus, der natürlich nicht alleine dafür verantwortlich ist; aber die Sache der Aufklärung erheblich erschwert.
Zeichen und Informationsverarbeitung
Im Laufe unseres Lebens lernen wir mit der Sprache die vorherrschende Kollektivsymbolik, mehr oder weniger bewusst. Erst wenn die Börsenberichterstattung über fallende Kurse jubeln würde, machen wir uns vielleicht Gedanken darüber, dass wir starke Orientierungsmuster haben, an die wir uns unbewusst halten: OBEN ist dabei besser nach unten, Fortschritt heißt AUFstieg. Schnell, vorne, erster… ist besser als langsam, hinten, letzter und groß ist besser als klein sowie innen besser als außen. So werden Marginalisierte „an den Rand gedrängt“, wobei man sich vielleicht ein Spielfeld vorstellt oder ein Boot, das irgendwann auch voll sein könnte, was bedeutet, dass Menschen über den Rand hinaus ausgegrenzt werden können – Menschen- und Völkerrecht hin oder her – immer zunächst sprachlich, denn Verbalisierung bedeutet nicht nur virtuell Einbezug oder Ausgrenzung sondern auch ganz reale Vorbereitung.
Inzwischen ist etwas mehr Wissen der Kognitionswissenschaft, also der Wie-das-menschliche-Gehirn-so-tickt-Wissenschaft, in die öffentliche Debatte gedrungen – etwa, wenn von Rahmung durch Kontext, auf Neudeutsch „Framing“ die Rede ist (vgl. George Lakoff/ Elisabeth Wehling). Die Debatte über das gefährliche Framing der Hart-aber-Fair-Redaktion bei einer Sendung mit dem Titel „Flüchtlinge und Kriminalität“ im Sommer 2018 hingegen hat gezeigt, wie wenig Bewusstsein über das Funktionieren sprachlicher Zeichen sogar bei Menschen vorhanden sein kann, die ständig mit Sprache arbeiten und die in Redaktionen gewöhnt sind um richtige und möglichst neutrale Wordings zu diskutieren. Die Hart-aber-Fair-Redaktion von Frank Plasberg twitterte damals noch folgende Antwort auf die Vorwürfe über den leichtfertigen Umgang mit Sprache und Ressentiments: „Framing? Als Journalisten können wir mit diesem Begriff wenig anfangen. Wir versuchen das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist.“ (vgl. DLF)
Diese Aussage offenbart ihre ganze Naivität darin, dass sie unterstellt, dass man Realität einfach mit Sprache und Bildern abbilden könne. Denn nicht nur ignoriert die Aussage die Notwendigkeit Themen und Aspekte von Sachverhalten auszuwählen und in der Darstellung mit einer Reihenfolge anzuordnen, denn eine unveränderte 1:1-Wiedergabe ist aus Platz- und Zeitgründen gar nicht möglich. Die Aussage offenbart auch ein fehlendes Bewusstsein dafür, was es bedeutet, dass wir uns alle immer subjektiver Zeichen bedienen müssen – diese sind bereits vorgeprägt, bringen teils ganze Geschichten des kollektiven Wissens mit und färben die darzustellenden Sachverhalte entsprechend ein. Wer den „Hambacher Forst“ retten will, sollte ihn nicht so nennen, denn in „Forst“ steckt die „Forstwirtschaft“ schon drin und impliziert damit Aufforsten und Abholzen gleichermaßen. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nachrichtenagentur dpa im August 2024 sendete der Deutschlandfunk ein Kalenderblatt, in dem der dpa-Verantwortliche auf das eigene Bewusstsein für die wichtige Funktion von Sprache hinwies – ohne freilich den Begriff des Framing zu erwähnen.
Man kann nämlich nicht nicht framen – um es analog zu Paul Watzlawik zu sagen: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ Ein Bewusstsein die Rahmengebung bzw. das Einfärben von Sachverhalten durch die Wahl der sprachlichen und bildlichen Mittel fehlt oftmals. Und es fehlt auch insgesamt für die Konstruiertheit jedweder Darstellung und damit für die eigenen Entscheidungen, die diese ausmachen – also für die Wahl von Ausschnitten, Begriffen, Bilder und die Entscheidung gegen andere ebenso vorhandene, die ungezeigt bleiben. Denn egal, wie schließlich die Sendung daherkommen wird und wenn sie als Hauptbotschaft hinausrufen sollte: „Flüchtlinge sind nicht krimineller als andere!“, so bleibt für das Gehirn eben nur die Verknüpftheit der beiden Hauptbedeutungen übrig – analog zum Elefanten, an den nicht gedacht werden sollte.
Historische Erkenntnisse ernster nehmen
Eigentlich sollte man in Bezug auf ausgrenzende Mechanismen durch Hassrede aufgrund der Antisemitismusforschung mehr erwarten können, aber der Blick auf die NS-Zeit verstellt anscheinend das Wahrnehmen der subtileren Formen der Ausgrenzung. Etwa als der Journalist Otto Glagau in der Berliner Zeitschrift „Gartenlaube“ anlässlich der Wirtschaftskrise 1873/74 über die Schwindler in Banken und Börsen berichtete, erwähnte er bei einigen Beteiligten extra eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit. Indem er das Adjektiv „jüdisch“ zusätzlich erwähnte oder Markierungen einbrachte, wie „mosaischen Glaubens“ oder „der aus Posen stammende…“, betonte er, dass einige der Verantwortlichen Juden waren. Bei der Mehrzahl der nichtjüdischen Beteiligten erwähnte nicht, ob sie Christen waren.
Darauf angesprochen, dass seine Berichterstattung antisemitisch sei, wehrte Glagau ab und konnte belegen, dass er ja über alle Verbrecher berichtetet hatte. Das stimmt, das ist Fakt – nur, hat er es eben bei beteiligten Juden irgendwie besonders erwähnt, also markiert, und damit das Merkmal für relevant in dem Kontext erklärt. Mit der Markierung beginnt also bereits die Diskriminierung. Eine solche Markierung kann sprachlich oder bildlich erfolgen und hat den Effekt, dass der berichtete Sachverhalt irgendwie der ganzen Gruppe zugewiesen wird. Diesen verallgemeinernden Reflex hat bzw. macht das Medienpublikum – wir alle nehmen die erwähnten Ausschnitte aus der Realität pars-pro-toto wahr, also den kleinen erwähnten Ausschnitt als repräsentativ für das große Ganze. Wenn wir Länder, Menschen, Abenteuer nicht persönlich kennen, sind wir schnell geneigt, vom berichteten kleinen Teil auf das Aha-so-ist-das-bei-Denen große Ganze zu schließen.
Wenn also zu bestimmten Artikeln über Verfehlungen welcher Art auch immer Bilder von kippatragenden Juden oder kopftuchtragenden Musliminnen montiert werden, dann ist davon auszugehen, dass man die damit aktualisierte Gruppe als irgendwie besonders affin für den berichteten Sachverhalt ansieht. Markierungen bewirken sehr häufig Zuweisungen. Denn wir alle gehen gemäß dem Kooperationsprinzip von Paul Grice davon aus, dass die erwähnten Fakten auch relevant für den Sachverhalt sind, um den es eigentlich geht – dass diese Fakten sonst eben nicht berichtet würden. Man kann hier im Extremfall von Relevanzsuggestion sprechen.
Wenn etwa, wie in einem Medien-Newsletter der Bertelsmann-Stiftung von 2003 folgender Satz steht: „Der jüdische Medienmogul Haim Sabban kauft zwei TV-Sender, um die Israel-Berichterstattung positiv zu beeinflussen.“, dann meinen nicht wenige, dass es relevant sei, dass Haim Sabban Jude ist und dies tut. Das meint Sabban auch selbst. Dennoch wird bei sachlicher Überprüfung deutlich, dass die besondere Betonung durch das Adjektiv „jüdisch“ hier irrelevant ist und lediglich Klischees bedient – denn diese Medienpolitik gegenüber Israel ist auch im Hause Springer Usus und wird umgekehrt von vielen anderen jüdischen Medienvertretern nicht geteilt. Auch ein reales Fakt verhindert also nicht ein falsches Fazit. So subtil kann der Antisemitismus daherkommen und das ist nicht harmlos. Hier offenbaren sich die Grenzen von „Sagen, was ist“.
Als besonders fatal erweist sich in diesem Kontext die Aufweichung der Richtlinienergänzung 12.1 des Pressekodex. Wo früher ein „begründeter Sachbezug“ zum berichteten Sachverhalt gefordert wurde, wird jetzt lediglich ein „begründbarer“ Sachbezug formuliert, der vom öffentlichen Interesse abhängig gemacht wird. Wie sehr man sich einbilden kann, sachlich über „das, was ist“ zu debattieren, haben wir bei der Auseinandersetzung mit der Hart-aber-Fair-Sendung gesehen. Wie dehnbar „begründbar“ mit Bezug zu einer inzwischen algorithmisch gesteuerten Öffentlichkeit ausgelegt werden kann, lässt sich erahnen. Ohne Not und Verstand hat man das Prinzip aufgegeben, die Relevanz der Faktennennung am Sachverhalt zu orientieren.
So wäre es natürlich relevant bei einem Passdelikt die Nationalität eines Täters mitzumelden, bei Mord jedoch nicht, weil dieser keine Gruppenspezifik aufweist. Statt also die Lehren aus der Geschichte der am besten untersuchten Hasssprache ernst zu nehmen und gemäß der vielfältigen grafischen Gestaltung in der modernen Medienkommunikation eine Richtlinienergänzung 12.2 für visuelles Framing anzufügen, gibt man bewährte Prüfstandards auf, weil man offensichtlich unter Journalisten (im und außerhalb des trendsettenden Selbstkontrollorgans Presserat) vergessen hat, dass der Prüfauftrag von 12.1 kein Auftrag zum Verschweigen von relevanten Personenmerkmalen war und somit auch kein Angriff auf die Meinungsfreiheit – sondern eben ein Appell an eine vernunftgeleitete Überprüfung eigener Vorurteile, die zur Bevorzugung bestimmter stereotyper Merkmale führen können. Denn es sind stereotype Vorstellungen, die uns an Nationalität und evtl. noch Hautfarbe denken lassen, weniger an Haarfarbe oder Schuhgröße, wobei letztere auch zur Identifikation von Straftätern geeignet wäre. Ein Experiment über mehrere Jahre, bei Straftaten die Schuhgröße von Tätern mitzumelden, würde wohl dazu führen, dass das Stereotyp entsteht, dass ab Schuhgröße 39 eine höhere Kriminalitätsgefahr besteht. Plausibler erscheint uns das vielleicht die Zuweisung von Gewaltaffinität zum Geschlecht, aber auf die simple Markierung „männlicher Täter“ wird allgemein verzichtet.
Ein größeres Bewusstsein scheint bei Metaphern zu herrschen, die komplexe Bilder evozieren und eine eigene innere Logik aktualisieren. Wenn „Fluten, Wellen oder Ströme“ von was auch immer auf uns zukommen sollen, dann ist die natürliche Reaktion die der Abwehr. Denn es wäre geradezu unklug, sich den Naturgewalten schutzlos auszuliefern – was wir jedoch problemlos mit Blick auf die Umweltkrise hinnehmen. Durch das sprachliche oder bildliche Anspielen auf derlei Vorstellungen in Bezug auf Menschen kreiert man gewissermaßen einen Frame der Selbstverteidigung. So lässt sich das häufige Verschleiern von Aggression hinter Formulierungen der Abwehr erklären und auch, warum manche Menschen dafür kein Unrechtsbewusstsein haben, dass sie gegen andere Menschen vorgehen – weil sie sich in ihrer Vorstellung ja „nur verteidigen“. Das Potential der Entmenschlichung addiert sich hier auf fatale Weise zum falschen Frame. Und dieser ist grundlegend, wenn bei bestimmten Ereignissen und Übeltätern diese als gruppenspezifisch und nicht als Ausdruck allgemein menschlichen Versagens wahrgenommen werden; also die Einteilung in in- vs. out-group aufrecht erhalten wird, obwohl Menschen- und Völkerrecht für eine one-group plädieren, die global das Überleben der Spezies Mensch in den Blick nimmt.
Hingegen perpetuieren Einteilungen Text und Bild immer wieder das Wir und Ihr. So verfehlen Bilder von vollen, bald untergehenden Booten – sei es auf Plakaten rechtsextremer Parteien oder dem Magazin „Der Spiegel“ vom Beginn der 1990er Jahre bis heute –ihre volkverhetzende Wirkung nicht; ebenso wenig Karikaturen von Blutsaugern als Verbildlichung verwerflichen Handelns in der Finanzkrise. Was ist aber mit wohlmeinenden Äußerungen, die dennoch ausgrenzende Wirkung haben?
Grenzen wohlmeinender Diskurse
Auch wohlmeinende Äußerungen können ausgrenzenden Charakter haben. Wenn etwa Charlotte Knobloch meint, „das Verhältnis von Deutschen und Juden“ habe sich gebessert, so verrät sich das trennende UND durch eine Gegenprobe. Denn ein Satz, der sich über das Verhältnis von Deutschen und Christen auslässt, würde wohl als Unsinn empfunden. Ein Satz, der das Verhältnis von Deutschen und Muslimen beschreibt, würde wiederum ernsthaft erörtert. Dies verrät, dass man sich die normalen, die prototypischen Deutschen immer noch als Christen vorstellt, denn man kann einfach nicht vom „Verhältnis von Deutschen und Christen“ sprechen – eine Gegenprobe wie diese Gegenüberstellung vergleichbarer Äußerungen verrät erst die Prämissen. Und Sie haben jetzt sicher bemerkt, dass ich mit der Formulierung „immer noch“ eine bestimmte Entwicklung unterstelle?! Solche Partikel sind sehr verräterisch etwa wenn man sich wundert, dass die Person „in dem Alter immer noch“ so agil ist. Das zeigt die eigenen Erwartungen und fällt in die Rubrik Altersdiskriminierung. Auch Formulierungen, die mit einem „obwohl er Jude ist“ beginnen, verraten vor allem etwas über Erwartung und Sichtweise – also Vorurteile – des sich Äußernden.
Beschreibungen wie „der deutsch-jüdische Autor Rafael Seligmann“ zeigen in der Gegenprobe erneut ihre Markierung, denn ein deutsch-christlicher Autor würde als Beschreibung nicht akzeptiert. Und eine Feststellung, dass „Frauen genauso gut Karten lesen können wie Männer“ unterstellt vor allem, dass Männer dies könnten. Auch unausgesprochene Prämissen können ihre diskriminierende Wirkung entfalten, wie das Syntagma „Die Gleichstellung der Frau“ beispielhaft aufzeigt. Hier schwingt eine Norm mit, an die sich Frauen anpassen dürfen. In der sogenannten Islamkonferenz wurden die Teilnehmenden teilweise sehr freundlich als „nun in Deutschland“ oder „zu uns“ gehörend begrüßt. Das bedeutet zunächst einmal, dass auch hier geborene Muslime als irgendwie eingewandert interpretiert werden – die deutsche Muslimliga, die sich 1948 nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland neu gründete, bleibt sowieso meist ausgeblendet.
Noch entnormalisierender und konkret entmenschlichend ist die Anwendung eines Kosten-Nutzen-Frames auf Menschen. Dieser beginnt häufig bei markierten Gruppen, betrifft aber schließlich alle. So kann man in Bezug auf Migranten, Behinderte und andere gerne Markierte immer wieder Aussagen hören oder lesen: „Sie zahlen mehr in die sozialen Kassen ein, als sie Kosten verursachen.“ Das ist darum fatal, weil man damit diesen Frame akzeptiert, der eigentlich gegen die Menschenrechte verstößt und schnell dazu führt, dass man umgekehrt Ausweisung und die Aufgabe von Hilfsleistungen fordert, wenn jemand seinen ökonomischen Leistungsanspruch nicht erfüllt – so wird unter anderem auch die Lebenserfahrung alter Menschen entwertet. Ähnlich auf die Allgemeinheit wirkt auch der Frame der Gefährlichkeit bestimmter Gruppen, weshalb man geneigt sein könnte, den Abbau von Bürgerrechten, Überwachung etc. zu akzeptieren. Das Einfallstor für unpopuläre und illegitime Maßnahmen ist gerade, dass diese zunächst nur „die anderen“ zu treffen scheinen.
Wenn aber auch wohlmeinende Diskurse auf die Gesellschaft spaltende Wirkung haben können, wie ich es ausführlicher in einem Artikel mit dem gleichen Titel auf migazin.de ausgeführt habe, was machen wir dann mit offenem Hass? Die No-Hate-Speech-Kampagne, die sehr wichtig ist, um Bewusstsein für die Verrohungen der Diskurse zu schaffen, zeigt die Problematik ungewollt auf. Das Konzept „Counterspeech“, also die Gegenrede, kann genau das befördern, was wir weiter oben schon erörtert haben. Das vermehrte Zeigen auf das Unerwünschte, verstärkt es, erklärt es für besonders relevant. Dem Dilemma entkommen wir anscheinend weder durch Ignorieren noch Dagegenhalten.
Was zu überlegen ist, sagt George Lakoff in einem CNN-Interview unter der Überschrift „How to fact check Trump without repeating his lies“ – also, „Wie kann man Trumps Behauptungen überprüfen, ohne seine Lügen zu wiederholen?“ Lakoff plädiert gemäß dem Bewusstsein für die Zeigefunktion von Sprache dafür, die Frage danach zu stellen, wovon Trump & Co. mit bestimmten Provokationen ablenken wollen, statt ihrem interessierten Blick auf das Zielobjekt ihrer Äußerungen zu folgen. Sprich: Was ist eigentlich relevant? Welches Thema wird gerade überblendet? Wo ist der große, übergeordnete Zusammenhang? Bei Trump war es am Tag der Verkündigung eines Schießbefehls an der mexikanischen Grenze die Veröffentlichung seines skandalösen Steuerbescheids, der dann wirklich kaum noch einem Medium auffiel. Es lohnt sich also vielmehr über die Meta-Ebene von Kommunikation nachzudenken und auch darüber zu streiten, was nun wirklich relevant ist – statt sich an Symptömchen abzuarbeiten, über jedes Hölzchen und Stöckchen eines AfD-Guerilla-Marketings und ihrer Nachahmer zu springen – und konstruktiv zu nutzendes Potential zu erkennen.